Stein und Flöte
beim Eselwirt unterstellen.«
Lauscher trug Sattelzeug und Gepäck ins Haus und setzte sich dann in die Stube. Gleich darauf tischte ihm der Sanfte Flöter ein appetitlich duftendes Kaninchenragout auf, zu dem es frisches Weißbrot gab. Ein Krug Rotwein stand schon bereit, und so fühlte sich Lauscher gleich wieder zu Hause. Als er das Essen lobte, sagte sein Großvater: »Du brauchst nicht zu glauben, daß ich auf meine alten Tage noch auf die Jagd gehe. Der Eselwirt kommt alle paar Tage vorbei und versorgt mich mit dem Nötigsten.« Während der Mahlzeit redeten sie sonst nicht viel; denn der Sanfte Flöter hielt es noch immer mit dem Brauch, daß man wesentliche Dinge erst nach dem Essen zur Sprache bringen dürfe.
Schließlich war die Schüssel geleert, und Lauscher wischte sie mit einem Stück Brot aus. Währenddessen schenkte der Sanfte Flöter Wein nach und sagte dann: »Barlo hat dich also freigegeben.«
»Ja«, sagte Lauscher. »Er beherrscht jetzt deine Sprache so vollkommen, daß ihn jedermann verstehen kann. Außerdem hat er eine Frau gefunden, die ihm in allem zur Seite steht. Er braucht mich nicht mehr.«
»Das darfst du nicht sagen«, erwiderte der Sanfte Flöter. »Freunde braucht man immer. Bist du nicht sein Freund?«
Lauscher dachte einen Augenblick nach. »Ich weiß nicht«, sagte er dann. »Drei Jahre lang war ich sein Diener, und anfangs hatte ich keine Ahnung, was er im Sinn hat. Er machte nicht einmal den Versuch, mir seine Absichten zu erklären. Später verstand ich ihn dann schon besser, aber bis zum Schluß galt nur das, was er wollte. Als er mich freigab, hat er mich umarmt wie einen Freund, doch ich weiß nicht, ob man das schon Freundschaft nennen kann. Er war eher wie ein großer Bruder.«
»Stört dich das?« fragte der Sanfte Flöter.
»Ich will endlich selbst bestimmen, was ich tue und wohin ich gehe«, sagte Lauscher.
Der Sanfte Flöter lächelte. »Du hast dich damals selbst für diesen Weg entschieden«, sagte er. »Weißt du das nicht mehr? Und nach allem, was mir über eure Reise zu Ohren gekommen ist, hattest du dabei reichlich Gelegenheit, das Zuhören zu lernen, Lauscher. Mir scheint aber, daß du noch immer zu viel auf dich selber hörst.«
»Muß ich nicht erst einmal herausfinden, wer ich selber bin?« fragte Lauscher.
»Das mußt du allerdings«, sagte der Sanfte Flöter. »Aber so schnell wird das nicht gehen, wie du in deiner Ungeduld meinst. In dir selbst wirst du die Antwort nicht finden, doch wenn du dich aufs Zuhören verstehst, wirst du es von anderen nach und nach erfahren.«
»Also habe ich das Zuhören noch immer nicht hinreichend gelernt«, sagte Lauscher und kam sich vor wie ein Schüler, der bei der Lösung einer Aufgabe versagt hat.
Der Großvater machte eine beschwichtigende Geste und sagte: »Was heißt hier schon hinreichend? Du wirst dein Leben lang damit nicht zu Ende kommen. Ich kann nur hoffen, daß du in diesen drei Jahren genug gehört hast, um jetzt mein Erbe zu übernehmen. Ich kann nicht noch einmal drei Jahre warten.«
»Welches Erbe?« fragte Lauscher, obwohl er die Antwort schon ahnte.
»Meine Flöte«, sagte sein Großvater. »Nachdem du dabei geholfen hast, die Dinge in Barleboog so weit in Ordnung zu bringen, wie es möglich war, scheint es mir an der Zeit, daß auch du das Flötenspielen lernst. Ich habe gehört, daß deine Stimme während dieser Zeit nicht lauter geworden ist, und das ist auf alle Fälle ein gutes Zeichen dafür, daß du meine Kunst erlernen kannst.«
Lauschers Herz machte einen Sprung. Nun würde auch er ein Flöter werden, womöglich sogar ein berühmter Mann wie sein Großvater, von dem man selbst in den Zelten der Beutereiter erzählte. Barlos Holzflöte war ja nur eine Art Notbehelf, damit er sich verständigen konnte. Da war die Silberflöte schon eine andere Sache; denn mit ihrem Klang konnte man Gewalt über Menschen erlangen, wie er selbst erlebt hatte. »Wann fangen wir mit dem Unterricht an?« fragte er eifrig.
Der Sanfte Flöter lachte leise in sich hinein und sagte: »Du kannst es wohl gar nicht erwarten, ungeduldig wie du bist?« So war es in der Tat. Lauscher erschien jeder Augenblick vergeudet, der noch bis zum Beginn der Unterweisung verstrich. »Wird es lange dauern, bis ich die Flöte spielen kann?« fragte er.
»Das kommt darauf an, was du unter Spielen verstehst«, sagte der Sanfte Flöter. »Ich kann dir nur zeigen, auf welche Löcher du die Finger setzen mußt, damit ein bestimmter
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