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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Arni – sein Name sei gepriesen! – weiterhin die Horde, doch der Sinn seiner erleuchteten Taten blieb unseren beschränkten Augen verborgen bis zu seinem Tode. Er wurde bei einem Überfall aus dem Sattel geschossen und starb mit einem Pfeil in der Brust den Tod eines Beutereiters. Hunli und viele andere in der Horde schienen eher erleichtert, als der Tote gefunden wurde, doch sie gaben Arni – sein Name möge ewig leben! – ein ehrenvolles Begräbnis in der Steppe und häuften einen hohen Hügel über seinem Leichnam auf.
    Bald nach seinem Tode geschah es dann, daß fremde Leute ins Gebiet der Beutereiter kamen, um Ehrengaben auf Arnis Grabhügel niederzulegen, Leute vom Braunen Fluß waren unter ihnen, Leute aus dem Gebirge und aus dem Waldland im Westen. Hunli ließ sie gewähren, denn er hätte Schande auf sein Haupt gehäuft, wenn er verhindert hätte, daß seinem Bruder Totengaben geweiht wurden. Manche aus den Zelten der Beutereiter ritten zuweilen zu dem Grabhügel – dem jedermann Ehre erweisen möge! –, um die seltsamen Gaben zu betrachten, die dort niedergelegt worden waren, fein geknüpfte Fischernetze zum Beispiel oder ein reich geschnitzter Ehrenstuhl, wie man ihn einem hochgestellten Gastfreund anbietet, oder ein bronzener Kessel, auf dessen Wandungen kunstvoll getriebene Bilder die Taten Arnis verherrlichten. Dann berichteten solche Besucher, daß sie auf Arnis Grabhügel auch Totengaben gefunden hätten, wie sie nur Beutereiter ihren großen Anführern mitzugeben pflegen, silberverziertes Sattelzeug etwa oder ein kostbares Zelt aus feinster Schafwolle mit goldbeschlagenen Zeltstangen.«
    »Also gab es doch Männer in der Horde, die Arnis Andenken in Ehren hielten«, sagte Lauscher.
    »Ja«, sagte Günli, »und das waren nicht wenige, wie man an ihren Gaben sehen konnte. Als Hunli davon hörte, sagte er, es sei wohl der Bruder des Khans, der auf solche Weise geehrt werden sollte, aber an der Art, wie er dabei auf seinem Schnurrbart kaute, konnte man erkennen, daß er sich ärgerte. Man hätte wohl auch erwarten können, daß er als erster seinem Bruder eine solche Gabe darbrachte, aber das hatte er nicht vor aller Augen getan, und heimlich hätte er es ja nicht zu tun brauchen.
    Bisher war überhaupt nicht bekannt geworden, wer aus der Horde diese Gaben niedergelegt hatte. Doch wenn Hunli gehofft haben sollte, daß es damit bald ein Ende haben würde, so hatte er sich getäuscht; denn als einmal der Anfang gemacht war, häuften sich bald solche Gaben dermaßen auf Arnis Grabhügel, daß sie ihn bis zur Spitze bedeckten.
    Damals drängten einige Anführer, die schon immer zu den Gegnern Arnis gezählt hatten – mögen ihre Augen endlich geöffnet werden! –, einen großen Rat einzuberufen. Es sei um der Einmütigkeit der Horde willen notwendig, meinten sie, ein für allemal zu klären, wer aus den Zelten der Beutereiter ein Interesse daran habe, das Andenken Arnis – möge es nie in Vergessenheit geraten! – auf solche Weise am Leben zu erhalten. So kam es zu jener Ratsversammlung, die wir heute die Große Scheidung nennen. Sie fand unter freiem Himmel statt, da kein Zelt groß genug war, alle Männer zu fassen. Als sich alle im Kreis auf den Boden gesetzt hatten, stand Hunli auf und hielt eine Rede. Er sagte, früher seien seines Wissens alle Männer darin einig gewesen, daß Arni durch sein seltsames Verhalten der Horde Schaden zugefügt habe, und er rief den Zuhörern alle möglichen Vorkommnisse ins Gedächtnis, die Anlaß zu dieser Meinung gegeben hatten. Falls nun heute jemand anderer Meinung sei, fuhr er fort, so möge er jetzt aufstehen und seine Gründe vorbringen.
    Eine Zeitlang blieben alle schweigend sitzen und starrten vor sich hin auf den Boden. Hunli blickte im Kreise umher, und seine Miene wurde zusehends zufriedener. Doch als er schon weiterreden wollte, stand Höni, einer der bedeutendsten Anführer, auf und sagte, er sei jener, der Arni das Zelt mit den goldbeschlagenen Stangen als Totengabe dargebracht habe, und er könne durchaus Gründe dafür vorbringen, warum Arni jede nur denkbare Ehrung verdient habe.
    ›Spät kommst du zu dieser Ansicht, Höni‹, sagte Hunli erbittert. ›Ich weiß noch gut, daß auch du wie viele andere Arnis Vorgehen verurteilt hast.‹
    ›Darin muß ich dir zustimmen‹, sagte Höni, ›denn ich verstand damals noch nicht, was Arni im Sinn hatte. Seine Reden wie seine Taten waren so geartet, daß man sie zwar im Gedächtnis behielt, aber

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