Stein und Flöte
Kluibenschedl hatte. Aber Arni hatte das Spiel bald wieder in der Hand. Er versuchte jetzt, rascher zum Ziel zu kommen, und es war bald deutlich zu sehen, daß er es darauf anlegte, seine Steine zu einem Dreieck zu ordnen. Was der Häuptling auch dagegen unternahm, Zug um Zug gelang es Arni, die Reihen seiner Steine zu schließen. Auf Kluibenschedls breiter, von Narben zerhackter Stirn schwollen die Adern an, und ein fiebriger Glanz trat in seine Augen. Die Spielleidenschaft hatte ihn mit aller Gewalt gepackt, und es mag sein, daß dieser Zustand die Klarheit seines Denkens trübte. Jedenfalls gelang es ihm nicht, die Pläne seines Gegners zu vereiteln, und als die Sonne die Bergkette berührte, zog Arni seinen letzten Stein und vollendete das Dreieck.
›Bin ich jetzt frei?‹ fragte er und blickte seinem Gegner in die Augen. Aber der Häuptling war noch immer nicht bereit, sie ziehen zu lassen. Er war wütend über diese zwei Niederlagen, und zugleich fieberte er danach, weiterzuspielen und die Scharte auszuwetzen. ›Nachdem du zweimal gewonnen hast, Arni‹, sagte er heiser, ›darfst du mir ein drittes Spiel nicht abschlagen.‹
›Ich habe keine Lust mehr zum Spielen‹, sagte Arni und schickte sich an aufzustehen.
›Warte!‹ sagte Kluibenschedl rasch. ›Ich biete dir einen Einsatz, den du nicht ausschlagen wirst. Wenn du zum drittenmal gewinnst, sollst du Häuptling über meine Leute werden, und ich verspreche dir, daß jeder künftig tun wird, was du für richtig hältst. Lockt dich das nicht, sanftmütiger Arni? Hast du keine Lust, die Blutaxtleute zu zähmen?‹
Arni starrte den Häuptling an, als habe er nicht richtig verstanden, was ihm hier vorgeschlagen wurde. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: ›Um diesen Einsatz will ich nicht spielen!‹
Da stieg Kluibenschedl die rote Wut ins Gesicht. Er sprang auf und schrie: ›Du wagst es, einen solchen Einsatz auszuschlagen? Willst du mich beleidigen? Ich werde dich zwingen, dieses Spiel zu spielen. Dein Leben hast du gewonnen, aber nicht deine Freiheit. Wenn du diese Herausforderung nicht annimmst, werde ich dich zu meinem Sklaven machen, der das Blut von meiner Axt wischt!‹
Da setzte sich Arni wieder hin und sagte: ›Gut. Ich nehme die Herausforderung an. Aber wir müssen uns beeilen, denn es wird schon dunkel.‹
›Die Nacht hat mich noch nie daran gehindert, ein Spiel zu Ende zu führen‹, sagte Kluibenschedl und ließ Fackeln bringen.
Arni schaute Rikka an und lächelte ihr zu, ehe er den ersten Stein mit ruhiger Hand auf das Brett setzte. Sie freute sich, als sie sah, daß die Hand des Häuptlings zitterte, mit der er seinen Stein aufnahm. Er ist viel zu aufgeregt, um zu gewinnen, dachte Rikka und war sicher, daß ihr Vater seinen Gegner auch diesmal schlagen würde. Bald war zu sehen, daß er vorhatte, eine lange Reihe von Steinen schräg von Ecke zu Ecke über das Feld zu bauen, und Kluibenschedl verfolgte den gleichen Plan. Immer deutlicher zeichnete sich das schräge Kreuz auf dem Brett ab, und die Gewinnaussichten der beiden Spieler hätten fast gleich gestanden, wenn Arni nicht immer um einen Schritt voraus gewesen wäre. Das ging so, bis er seinen letzten Stein nur noch auf das Mittelfeld des Spielbretts zu rücken brauchte, um seine Reihe zu schließen. Jeder konnte sehen, daß er gewonnen hatte. Der Stein lag schon in seiner Hand, als sein Blick auf den Augenstein fiel, der noch immer vor ihm auf dem Tisch lag. Die farbigen Ringe glühten im flackernden Schein der Fackeln und schienen zu pulsieren, als sei in der glatten Rundung seiner Oberfläche ein geheimes Leben eingeschlossen. Arni schaute lange in dieses farbige Leuchten von blau, grün und violett, und Rikka meinte schon, er habe völlig vergessen, daß er hier saß, um mit diesem Spiel die Macht über die Blutaxtleute zu gewinnen. Seine Lippen bewegten sich, als spreche er mit jemandem, den keiner sehen konnte. Es kann auch sein, daß es das Auge war, mit dem er sprach, oder jemand, der ihn aus diesem Auge anblickte. Er nickte kaum merklich und schob seinen Spielstein beiseite, so daß Kluibenschedl mit dem nächsten Zug seine Reihe schließen konnte. Alle hatten gesehen, was geschehen war. Der jähe Triumph in den Augen des Häuptlings erlosch schon einen Augenblick später; denn dann hatte auch er begriffen, was Arni getan hatte. Mit einer heftigen Handbewegung fegte er das Spielbrett vom Tisch und schrie: ›Du hast mich gewinnen lassen!‹
›Ja‹, sagte Arni
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