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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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eine Frage gestellt, und zur Antwort sagte Arni: ›Ich spiele um das Mädchen dort an der Tür‹ und zeigte zu Rikka hinüber. Jetzt blickten alle zu ihr. Die Frau ihres Entführers, die auch auf den Stufen hinter ihr stand, stieß sie an, und als Rikka sich zu ihr umwandte, sagte sie: ›Du bist der Preis!‹ Rikka hatte Mühe, den Triumph in ihren Blicken zu verbergen, denn sie wußte, daß ihr Vater im Brettspiel nicht zu schlagen war.
    Als Kluibenschedl hörte, daß Arni um dieses Mädchen spielen wollte, das er, wie er sagte, im Vorbeigehen gesehen habe, lachte er spöttisch auf und sagte: ›Stört es dein sanftes Gemüt, daß wir dieses Mädchen gefangen haben, oder treibst du’s mit kleinen Kindern?‹ Rikka sah, wie ihr Vater die Zähne zusammenbiß, daß die Muskeln an seinen Wangen hervortraten, aber dann fragte er nur: ›Gibst du sie mir, wenn ich gewinne?‹
    ›Du sollst sie haben‹, sagte Kluibenschedl. ›Aber was kannst du dagegen setzen? Oder rechnest du nicht damit, daß du verlieren könntest?‹
    Arni zuckte mit den Schultern. ›Ich trage nichts von Wert bei mir, das ich dir anbieten könnte‹, sagte er.
    ›Das ist nicht wahr‹, sagte Kluibenschedl. ›Setze deinen Stein gegen das Kind. Man sagt ja, daß du ihn immer bei dir trägst, um dich mit ihm zu beraten.‹
    Arni bedachte sich eine Zeitlang. Dann griff er zu dem Beutel an seinem Gürtel, nahm den Augenstein heraus und legte ihn vor sich hin auf den Tisch. ›Wenn es dich nicht stört, unter dem Blick dieses Auges zu spielen‹, sagte er, ›dann soll’s mir recht sein.‹
    ›Ein Mann wie du jagt mir keine Angst ein‹, sagte Kluibenschedl geringschätzig. ›Und ein toter Stein schon gar nicht. Ich lasse dir beim Spielen sogar den Vortritt. Fang an und zeig mir, was du kannst!‹
    So begann das Spiel. Zunächst setzten die beiden Gegner abwechselnd je einen Stein aus ihrem Vorrat auf das Spielbrett, das in seiner Aufteilung an ein Schachbrett erinnerte, aber wesentlich mehr Felder hatte. Als alle Steine im Spiel waren, konnte man sie dann weiter verrücken, und es kam offenbar darauf an, mit ihnen auf dem Brett bestimmte Figuren zu bilden, was der Gegner jeweils zu verhindern suchte. Kluibenschedl und Arni saßen über das Spiel gebeugt, dachten oft lange nach, ehe sie einen Stein von der Stelle bewegten, und sie erschienen ihr wie zwei Ringer, die vorsichtig die Kräfte des Gegners abtasten.
    Darüber verging der Mittag, aber keiner der Zuschauer dachte daran, zum Essen nach Hause zu gehen, und da auch die Frauen vor der Tür blieben, hätte es wohl auch nichts zu essen gegeben. Alle blickten gespannt auf die Spieler, und man konnte an dem beifälligen Raunen in der Menge hören, wenn ein Zug besonders geglückt schien. Damals hat Rikka mit eigenen Augen sehen können, daß diese Leute über ihrer Spielleidenschaft alles andere vergessen.
    Die Sonne stand schon wieder tief am Himmel, als Arni die letzte Lücke in einem Viereck aus seinen Spielsteinen schloß, das die Mitte des Brettes umfaßte. Er lehnte sich zurück und sagte: ›Du mußt dich geschlagen geben, Kluibenschedl.‹
    ›Du bist besser als ich dachte‹, sagte der Häuptling. ›Das Mädchen ist also dein.‹
    ›Dann werde ich jetzt mit dem Kind weiterreiten‹, sagte Arni und stand auf. Rikka spürte, wie die Frau ihre Fesseln löste, und wollte gerade zu ihrem Vater laufen, als der Häuptling ihn zurückhielt und sagte: ›So schnell kommst du nicht von diesem Tisch. Wir haben doch eben erst angefangen! Jetzt wirst du noch einmal spielen müssen.‹
    ›Ich wüßte nicht weshalb und worum‹, sagte Arni.
    ›Dann will ich es dir zeigen‹, sagte Kluibenschedl und wies zum Himmel, wo die Sonne zwei Handbreit über den Felszacken des Bergrückens stand. Arni blickte hinüber, dann nickte er und setzte sich wieder zurecht.
    ›Ich sehe, du hast verstanden‹, sagte Kluibenschedl und grinste zufrieden. ›An der gleichen Stelle stand die Sonne, als du gestern in unser Dorf gekommen bist. Dein Tag ist abgelaufen, und jetzt wirst du um dein Leben spielen müssen.‹
    Rikka erschrak, als sie merkte, in welche Gefahr sich ihr Vater um ihretwillen begeben hatte. Zwar war sie sicher, daß er auch dieses Spiel gewinnen würde, aber sie lief jetzt zu ihm hinüber und stellte sich neben ihn. Der Einsatz, um den es ging, ließ die Spannung unter den Zuschauern anwachsen. Die Männer drängten sich dicht um die Spieler zusammen und warteten auf den ersten Zug, den diesmal

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