Stein und Flöte
Recht angegriffen hatte. ›Recht oder Unrecht – was heißt das schon‹, sagte da die Stimme. ›Er ist dein Gegner, also mußt du gegen ihn kämpfen. Nimm ihm das Vertrauen des Herzogs! Oder willst du davongejagt werden, kaum daß du gekommen bist?‹
Nein, das wollte Lauscher auf keinen Fall. Er mußte sein Spiel spielen, das war ihm jetzt klar, und da winkte ihm auch schon der Herzog ungeduldig zu, endlich seine Kunst zu zeigen. Er stellte sich so auf, daß er sowohl den Herzog wie die Hofgesellschaft im Auge behalten konnte, und verbeugte sich tief vor dem Schloßherrn und seiner Schönen, danach, wenn auch weniger tief, vor den anderen Damen und Herren. Dann hob er seine Flöte an die Lippen und begann.
Die Zauberkraft seines Flötenspiels ließ vor den Augen der Zuhörer Schloß Raghoch emporwachsen, noch höher und prächtiger, als es in Wirklichkeit war, und dieses Bild festigte in jedem, der Lauschers Flötenmelodie vernahm, die Gewißheit, daß es keine größere Ehre geben könne, als in diesem Schloß ein- und ausgehen zu dürfen, gleichviel ob als Schloßherr oder als der letzte seiner Diener. ›Ihr selbst seid dieses Schloß‹, flötete er, ›und da dieses Schloß vollkommen ist, seid ihr Teile von seiner Vollkommenheit. Ihr seid schön, weil das Schloß an Schönheit nicht seinesgleichen kennt; ihr seid stark, solange diese Mauern nicht erschüttert werden; ihr seid mächtig, solange dieses Schloß das Land beherrscht. Du selbst, Herzog, bist der Fels, der es trägt; du bist die Mauer, die es rings umschließt; du bist der Turm, der in seiner Mitte aufragt. Deine Großmut gleicht jener dieses Turms, der nachsichtig das Schimpfen der Spatzen erträgt, die in den Weinranken an seinem Gemäuer nisten und ihn mit ihrem Kot bespritzen, um seine Größe, seine Stärke und Schönheit herabzusetzen. Ich preise deine Großmut, Herzog, aber ich frage dich auch: Ist es dir erlaubt, solche Großmut zu üben? Darfst du zulassen, daß der Zweifel die Herzen deiner Leute oder gar dein eigenes Herz vergiftet so wie der Kot der Spatzen nach und nach das Mauerwerk zerfrißt? Merkst du nicht, daß sie deine Größe nicht ertragen können und nicht ruhen werden, bis dein Schloß über dir zusammenstürzt?‹ Und er ließ das Schloß vor ihrer aller Augen Stück für Stück zerbrechen, Türme sanken in sich zusammen, die Wände des Palastes barsten, Mauern wurden gesprengt, bis nur noch ein rauchendes Geröllfeld die Kuppe des Felsens bedeckte.
Die Zuhörer stöhnten vor Entsetzen, manche schlugen die Hände vor die Augen, und der Herzog biß die Zähne zusammen, daß die Muskeln auf seinen Wangen kantig hervortraten, und starrte auf dieses grausige Bild. ›Willst du das, Herzog?‹ flötete Lauscher noch einmal. Dann setzte er sein Instrument ab und ließ das Bild des zerstörten Schlosses endgültig erlöschen.
Im Saal war es totenstill. Der Herzog fuhr sich mit der Hand über die Augen, als erwache er aus einem schlimmen Traum. Seine Blicke suchten den Sänger und fanden ihn am anderen Ende des Festsaals. Sperling lehnte dort allein an der Wand, alle anderen waren von ihm abgerückt wie von einem Pestkranken, auf dessen Haut sich die ersten Anzeichen der Seuche zeigen. »Du solltest sehr schnell das Schloß verlassen, Sperling«, sagte der Herzog. »Je weiter du dich entfernst, desto besser wird es für dich sein; denn von morgen an wird dich jeder in meinem Lande ungestraft erschlagen dürfen.« Gelimund erhob bei diesen Worten kaum seine Stimme, doch das klang schrecklicher, als wenn er geschrien hätte.
»Willst du nicht auch alle Spiegel aus deinem Schloß entfernen lassen, Herzog Gelimund?« fragte Sperling. »Es könnte sein, daß du eines Tages erschrickst, wenn du dein eigenes Gesicht siehst.« Als der Herzog ihm statt einer Antwort den Rücken zukehrte, zuckte Sperling mit den Schultern und verließ ohne Eile den Saal. Erst nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, drehte sich der Herzog wieder um. Er ging auf Lauscher zu, legte ihm den Arm um die Schulter und sagte: »Ich danke dir, Lauscher, daß du mir die Augen geöffnet hast. Von nun an wird deine Flöte mein Ratgeber sein.«
Gelimund erlaubte nicht, daß Lauscher sich wieder zu den Spielleuten am Ende der Tafel setzte, sondern forderte ihn auf, zwischen ihm und seiner Schönen Platz zu nehmen. »Bringt Wein für den Sieger!« rief er, und nun spendeten auch die Damen und Herren Beifall, nicht auf die beiläufige Weise, in der man
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