Stein und Flöte
Wärme und Geborgenheit in der Nähe von Menschen. So ritt er flötend dahin, setzte den Singsang seiner Kindertage gegen das Grauen vor der Wesenlosigkeit dieses Nebels, spielte dieses und jenes Lied und schließlich auch das von Schön Agla, das die Mädchen bei den Leuten am See so gerne sangen.
Als er es zu Ende gespielt hatte, hörte er von fernher einen tiefen, weithin hallenden Ton, erst leise, dann immer lauter, bis Lauscher das dröhnende Beben der Luft auf seiner Haut spürte. Zugleich begann vor ihm der Nebel aufzureißen, als würde er von diesem vibrierenden Ton gespalten. Rechts und links des Weges stand der wogende Dunst zu hohen Mauern aufgetürmt, aber der Pfad durch das Moor lag frei vor Lauschers Blick, eine schmale, festgetretene Spur, die zwischen Riedbüscheln, Moos und bräunlichen Tümpeln dahinlief, stellenweise mit Knüppelholz befestigt, wo der schwankende Boden zu wenig Halt bot. Gräser und Moospolster waren feucht übertaut, und als jetzt das Sonnenlicht durch die aufgebrochene Gasse hereinflutete, funkelten Millionen von Tröpfchen in allen Farben des Regenbogens.
Lauscher trieb sein Pferd an, denn jetzt bestand keine Gefahr mehr, daß er vom Weg abkam und auf sumpfigen Grund geriet. In den Streifen blaßblauen Herbsthimmels über den Weg pfeilte von links her ein Strich Wildenten, schwenkte herein zwischen die Nebelwände und ging auf einer moorigen Wasserfläche neben dem Weg nieder. Lauscher sah im Vorüberreiten, daß zwischen den braungefiederten auch eine weiße Ente schwamm, die aufmerksam zu ihm herüberäugte. Der Grüne schickt mir seine Helfer, dachte er, und nun war er sicher, daß er aus dem Nebelmoor herausfinden würde. Hier war er im Bereich der Wasserwesen, und wenn sie ihm halfen, konnte ihm nichts mehr geschehen.
Von Zeit zu Zeit folgten ihm die Enten und fielen dann wieder ein Stück weiter vorn auf einem Wassergraben oder einem Tümpel ein. Und sie begleiteten ihn, bis der Weg allmählich fester wurde und anzusteigen begann. Lauscher ritt noch so weit, bis die Nebelbänke zurückblieben. Dann hielt er sein Pferd an, stieg ab und setzte sich auf einen von Heidekraut umwachsenen Granitblock. Die im Licht der blassen Sonne schimmernde Nebelfläche lag nun unter ihm und hatte sich wieder geschlossen. Er blickte hinweg über die ziehenden Schwaden und spielte zum Dank noch einmal das Lied, das der Grüne so liebte.
… Schön Aglaja hat gelacht,
da sang er durch die Nacht.
Und als er zu Ende gespielt hatte, meinte er unten im Moor den Gesang des Grünen zu hören, tief und samtig auf- und abschwellend. Doch das mochte auch der Wind sein, der hier oben auf den Hügeln durch die kahlen Zweige der Birken strich.
Eine Woche war Lauscher noch unterwegs, ritt erst über welliges Heideland, später durch lichte Eichenwälder, unter deren knorrigem Geäst die Wildschweine im dürren Laub grunzend nach abgefallenen Eicheln wühlten, schließlich ging’s wieder abwärts in ein flaches Wiesental hinein, und hier wußte Lauscher schon Bescheid; denn ein Stück weiter aufwärts an der Stelle, wo sich fünf Bäche zu dem Flüßchen vereinigten, an dem er entlangritt, lag Fraglund.
Lauscher ließ sein Pferd im Schritt gehen und gab sich den Erinnerungen hin, die von dem vertrauten Bild der Landschaft geweckt wurden. Dort drüben an der Flußschleife hatte er seine erste Forelle geangelt und hier, wo der Wald bis an den Weg heranreichte, hatte ihn sein Pferd abgeworfen, als es vor einem Hirsch scheute, der plötzlich aus den Büschen gesprungen war. Lauscher begrüßte jeden Stein am Weg, und als gegen Abend hinter einer Talbiegung endlich die Häuser auftauchten, machte sein Herz einen Sprung, obwohl er genau wußte, daß sie dort auftauchen mußten. Er hielt sein Pferd für einen Augenblick an, als wolle er nachprüfen, ob noch alles an seinem Platz stand, ließ es dann wieder weitertrotten, und nach einer halben Stunde ritt er durch die Toreinfahrt seines Elternhauses.
Schon als er im Hof vom Pferd stieg, hörte er die gewaltige Stimme seines Vaters aus dem offenen Fenster der Gerichtsstube dröhnen. »Ihr seid und bleibt Beutereiter!« donnerte der Große Brüller. »Erst versucht ihr, das Tal mit Gewalt auszuplündern, und wenn euch das mißlingt, dann schneidet ihr euch die Zöpfe ab, verkleidet euch als biedere Händler, um auf diese Weise zum Ziel zu kommen. Aber ich werde euch Raubgesindel das Handwerk legen!«
Lauscher erschrak. Das war offenbar jemand von Arnis
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