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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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verstand. Seine Musik perlte und schäumte wie ein Wasserfall, aber auch er konnte Lauscher nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nur verliebt war in die feingedrechselten Verzierungen, mit denen seine Melodien dermaßen überladen waren, daß man sie kaum noch erkennen konnte. So spielte einer nach dem anderen, und Lauscher konnte zwar feststellen, daß sie allesamt ihr Handwerk beherrschten, aber keiner von ihnen verstand die Töne seines Instruments so zu lenken, daß er ihm hätte gefährlich werden können.
    Als letzter trat ein grauhaariger Sänger auf, den Lauscher auch schon unter der Jagdgesellschaft gesehen hatte. Er war einer der wenigen, die ihn nicht um ein Lied gebeten hatten. Offenbar stand er bei Hofe in hohem Ansehen; denn sobald er vor den Herzog trat, verstummten die Gespräche, und alle Zuhörer warteten gespannt auf sein Lied. Doch der Sänger enttäuschte sie. »Ich habe schon so oft vor dir gesungen, Herzog Gelimund«, sagte er, »daß es mir nicht notwendig erscheint, meine Kunst unter Beweis zu stellen. Wenn du erlaubst, will ich dir statt dessen eine Fabel erzählen.«
    Der Herzog runzelte die Brauen und schien ungehalten, daß es hier nicht nach seinem Willen zugehen sollte. »Ich bin mancherlei Narrheit von dir gewöhnt, Sperling«, sagte er schließlich, »und dein Witz hat mich selten enttäuscht. Also sollst du auch heute verfahren, wie es dir gefällt.«
    Der Sänger dankte ihm mit einer übertriebenen Verbeugung, ging dann hinüber zur Saalwand und setzte sich seitwärts in eine Fensterleibung. Den Blick auf den Herzog gerichtet, lehnte er sich zurück und begann zu sprechen.
    »Der Löwe lag im Schatten eines Baumes und ruhte sich von seinen Geschäften als König der Tiere aus. Während er darüber nachdachte, wie anstrengend es sei, ständig die Macht über sein Reich auszuüben, hörte er über sich in den Zweigen den Gesang der Vögel. ›Habt ihr nichts weiter im Sinn, als den lieben langen Tag zu zwitschern und zu flöten?‹ fragte er. ›Was tut ihr, um dem König aller Tiere bei der Ausübung seiner Macht zu helfen?‹
    Da erhob die Nachtigall ihre Stimme und trillerte: ›Ich singe, um jedermann zu zeigen, wie schön meine Stimme klingt und welch kunstvolle Triller ich schlagen kann. Erfreut es nicht dein Herz, König der Tiere, solch schöne Lieder zu hören?‹
    ›Was nützt es dem König, wenn du vor ihm mit deiner Stimme protzt?‹ sagte die Drossel. ›Du kitzelst damit nur deine eigene Eitelkeit. Höre, König der Tiere! Meine Stimme ist wandelbar und vermag sich jedem deiner Wünsche anzupassen. Willst du dich deiner Stärke vergewissern, so werde ich sie preisen. Verlangt dich nach Liebe, so gurre ich mit der Stimme deiner Schönen. Bist du zornig, so schüre ich deinen Zorn mit schrillem Flöten, bis er in hellen Flammen lodert. So werde ich dich immer zufriedenstellen.‹
    Da fiel der Spatz mit seinem Tschilpen der Drossel in den Gesang und sagte: ›Was nützt es dem König, wenn du jede seiner Launen lobst? Mir scheint, du willst nur Macht über ihn gewinnen durch deine Schmeichelei und dir seine Stärke zu Diensten machen. Ich werde dir sagen, König, auf welche Weise ich dir nützen werde. Protzt du mit deiner Kraft, werde ich spotten: Du magst wohl stark sein, König, aber einen kleinen Sperling, der vor deiner Nase flattert, kannst du nicht fangen. Freust du dich der Gunst deiner Schönen, werde ich fragen: Bist du sicher, daß es nicht nur deine Macht ist, an der sie teilhaben will? Und wenn du vor Zorn brüllst, werde ich zwitschern: Brülle nur, König, damit jeder hören kann, daß auch du nicht allmächtig bist. So, meine ich, nützt man Königen.«
    Der Sänger schwieg. Der Herzog blickte ihn, als nichts weiter folgte, zunächst verblüfft und dann mit steigendem Unmut an und fragte: »Wo bleibt die Moral? Eine Fabel muß eine Moral haben!«
    »Hat sie keine?« fragte Sperling mit gespielter Verwunderung. »Wenn du ein bißchen suchst, wirst du sie schon finden, du weiser Herzog Gelimund!« Er lachte kurz auf, deutete eine Verbeugung an und ging zurück an seinen Platz.
    Lauscher hatte durchaus gemerkt, daß er hier herausgefordert werden sollte. Er fühlte sich bloßgestellt vor den Damen und Herren, die jetzt alle Ihre Augen auf ihn gerichtet hatten. War das nur gespannte Anteilnahme an dem Wettkampf oder lag in ihren Blicken schon Spott oder gar Verachtung? Die Fabel hatte auch ihn beeindruckt, und er fragte sich, ob der Sänger ihn nicht zu

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