Stein und Flöte
den Horizont, Fichten, Lärchen und dazwischen auch die breiten Kronen von Eichen und Ahorn. An der Talstufe, an der die Hochfläche des Krummwaldes abbrach, stürzte der Bach in einem brausenden Wasserfall über eine Felswand in die Tiefe. Der Pfad wich an dieser Stelle seitwärts in den Wald aus und führte in schmalen Windungen zwischen den letzten Krüppelbäumen über den steilen Hang hinab in den Hochwald.
Aufatmend tauchte Lauscher in den Schatten der Bäume ein. Endlich fühlte er sich wieder in Sicherheit unter dem säulengetragenen Dach der weiten Halle. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er seit der Nacht an der Quelle außer der Elster, die ihn am Morgen geweckt hatte, im Krummwald keinen Vogel hatte singen hören. Hier im Hochwald war die Luft erfüllt vom Flöten und Zwitschern unzähliger Meisen und Finken, ein Häher keckerte, und von Zeit zu Zeit trommelte ein Specht.
Drei Tage ritt Lauscher noch zwischen den hochragenden Stämmen dahin, schlief nachts in einem moosgepolsterten Bett zwischen den Wurzelsträngen am Fuß uralter Bäume und ließ sich vom Morgengesang der Vögel wecken. Am Vormittag des vierten Tages begann sich der Wald zu lichten, die Nadelbäume wurden immer seltener, blieben schließlich zurück und wurden abgelöst von Birken, die nur noch in lockeren Gruppen im saftig aufschießenden Gras beieinanderstanden, das feine Gespinst der herabhängenden Zweige dicht besetzt mit prallen, grünen Zäpfchen. Und voraus, zwischen den weißschimmernden, von schwarzen Schrunden durchzogenen Stämmen, blickte Lauscher hinaus auf die weite, graugrün flimmernde Ebene der Steppe.
Hier an der Grenze zwischen dem Birkengehölz und der endlosen Fläche des Steppengrases verlief sich der Pfad, als suche von hier aus jeder Reisende seinen eigenen Weg. Aber Lauscher machte sich deswegen keine Sorgen. Weiter nach Norden mußte am Rand der Steppe die Ansiedlung von Arnis Leuten liegen. Er wendete sein Pferd nach links und ließ es munter über das freie Gelände traben. Das war ein anderes Reiten als dieses Gestolper über die schmalen, steinigen Gebirgspfade. Von Zeit zu Zeit ließ er Schneefuß in Galopp fallen, daß die Birken zur Linken vorüberflogen und das brave Packpferd kaum noch Schritt halten konnte.
So war er schon ein gutes Stück vorangekommen, als er gegen Mittag fünf Reiter hinter einem Gebüsch auftauchen sah, die ihm entgegenpreschten. Nach Kleidung und Zaumzeug glichen sie Arnis Leuten, und Lauscher spornte sein Pferd an, weil er es kaum erwarten konnte, mit diesen Männern zusammenzutreffen, die ihm so viel Achtung entgegenbrachten. Erst als er bis auf wenige Schritte an sie herangekommen war, sah er zu seinem Schrecken, daß sie Zöpfe trugen. Im nächsten Augenblick hatten sie ihn auch schon umringt, einer von ihnen packte die Zügel des Packpferds, ein anderer drängte sein Pferd an Lauschers Seite, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und hatte, ehe er sich versah, ihm auch schon mit einem Lederriemen die Hände auf dem Rücken gefesselt. Dann packte dieser Beutereiter Schneefuß beim Kopfriemen, und dahin ging es in gestrecktem Galopp geradewegs hinaus in die Steppe. So jagten sie lange Zeit über das zischende Gras. Als Lauscher sich einmal umblickte, hatten sich die weichen Konturen der Birken schon im Dunst aufgelöst; die Berge des Krummwaldes lagen wie eine blaue Wolkenbank am Horizont. Die Beutereiter trieben ihre Pferde voran, ohne auch nur ein einziges Mal zu zögern, und Lauscher fragte sich, wie sie auf dieser gleichförmigen Ebene, die dem Auge nirgends einen Halt bot, des richtigen Wegs gewiß sein konnten. Auf der grenzenlosen Grasfläche, über die der Wind von Zeit zu Zeit silbrig aufglänzende Wellen trieb, zeichnete sich nirgends ein Ziel ab, so angestrengt Lauscher auch danach ausspähte.
Es ging schon auf den Abend zu, als sich aus dem graugrünen Geflimmer der Steppe ein Pulk schwarzer Punkte löste und rasch näher kam. Bald war er als ein Trupp von etwa vierzig Reitern zu erkennen, die ihnen im Galopp entgegensprengten. Lauscher hatte den Eindruck, als wollten die beiden ungleichen Gruppen übereinander herfallen; denn sowohl seine Begleiter als auch die heranpreschenden Männer schienen ihre Pferde eher anzuspornen als zurückzuhalten und stießen jetzt weithin gellende, langgezogene Schreie aus. Erst im letzten Augenblick, als der Zusammenstoß schon unvermeidlich schien, rissen sie ihre Pferde zurück und blieben unvermittelt stehen. Einer der bezopften
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