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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wessen Instrument hier gespielt werden sollte. Doch es nützte ihm nichts mehr, daß er die Hand hob, um Einhalt zu gebieten; denn im gleichen Augenblick begann Lauscher zu spielen. ›Lauft, ihr Pferde!‹ flötete er. ›Kehrt euch um und lauft nach Süden, rast über die Steppe, daß das Gras eure Fesseln peitscht, und bleibt nicht eher stehen, als bis euch die Kräfte verlassen!‹
    Schon bei den ersten Tönen bäumten sich die struppigen Gäule der Beutereiter auf, wendeten auf der Hinterhand und stoben davon, daß Lauscher die Erde um die Ohren spritzte. Zwar versuchten die Reiter, ihre Tiere in die Gewalt zu bekommen, doch das erwies sich als völlig nutzlos. Einige hatten sich aus den Sätteln fallen lassen, sobald sie merkten, daß ihre Pferde einem fremden Willen gehorchten, doch nur wenige von ihnen kamen auf die Beine. Selbst für einen Beutereiter war es wohl nicht ungefährlich, bei vollem Galopp aus dem Sattel zu springen. Während die Pferde, darunter auch Lauschers Packpferd, mit der Hauptmacht der Horde schon weit entfernt auf den Horizont zuflogen, sah Lauscher ein paar der Abgesprungenen durch das Gras auf sich zulaufen und die Bogen von der Schulter nehmen. Da hörte er auf zu spielen, wendete sein Pferd und ritt rasch nach Norden davon. Bald waren die Wutschreie der Männer hinter ihm verklungen, doch er spornte sein Pferd weiter an und galoppierte über die Steppe, bis die Sonne dicht über dem Horizont stand.
    Als ihm bewußt wurde, daß gleich die Nacht hereinbrechen würde, hielt er sein Pferd an und blickte sich um. Rings im Kreis war nichts zu sehen als die endlose, im Westen von der Abendsonne rötlich überstrahlte Ebene, Meilen um Meilen nichts als graugrünes, wogendes Gras und nirgends ein Baum oder gar ein Gebüsch, in dem man sich verbergen konnte. Lauscher hatte keine Ahnung, wie lange die Pferde der Beutereiter seiner Flöte gehorchen würden. Vielleicht rasten sie wirklich immer weiter nach Süden, bis sie zusammenbrachen; vielleicht hatten sie sich auch ihren Reitern schon nach kurzer Zeit wieder gefügt. Wie dem auch sein mochte: Irgendwann würde sich die Horde auf seine Spur setzen; denn Hunli hatte nicht so ausgesehen wie ein Mann, der eine solche Veranstaltung als großartigen Spaß aufnahm. Als ihm das klar geworden war, beschloß Lauscher, die ganze Nacht über im Sattel zu bleiben.
    Er versuchte, sich nach dem Stand der Sonne zu orientieren, die eben unter den Horizont tauchte. In diese Richtung mußte er reiten, wenn er wieder auf die Wälder am Rand der Steppe stoßen wollte. So lange die flachen Wolkenbänke im Westen noch in sattem Rot glühten, war das kein besonderes Kunststück, doch dieses purpurne Leuchten verdüsterte sich rasch zu streifigem Violett und wurde Stück um Stück vom Dunkel der Nacht ausgelöscht, das sich von Osten her über den Himmel zog. Eine Zeitlang war voraus noch eine Spur von Helligkeit auszumachen, an die sich Lauscher halten konnte, doch dann verschwand auch diese letzte Zielmarke. Der Himmel hatte sich mittlerweile überzogen. Zwar blitzte hie und da ein Stern zwischen den breiten Wolkenbändern auf, doch das war zu wenig, um den Zusammenhang eines Sternbildes zu erkennen, nach dem man die Himmelsrichtung hätte bestimmen können, ganz davon zu schweigen, daß Lauscher nur vage Vorstellungen davon hatte, wie man das anstellte. Er überlegte noch einmal, ob er sich nicht doch ein Nachtlager herrichten und erst am Morgen weiterreiten sollte, aber der Gedanke, allein und schutzlos auf dieser Ebene zu liegen, erfüllte ihn mit Angst. Zudem hatte er mit dem Packpferd auch seine Decke und sämtliche Vorräte verloren. Statt frierend und hungrig im Steppengras zu liegen, konnte er ebensogut weiterreiten. So gab er die Zügel frei in der Hoffnung, daß seine Stute schon den rechten Weg finden werde.
    Schneefuß trottete brav durch die Nacht, und Lauscher döste im Sattel vor sich hin. Schnell kam er auf diese Weise nicht voran, aber er hoffte doch, daß ihn jeder Schritt seines Pferdes dem Ziel näher brachte, vorausgesetzt, es lief nicht in die falsche Richtung.
    Vielleicht war der Stute der steife Wind eine Hilfe, der von rechts her, wo seiner Meinung nach Norden sein mußte, über die Steppe wehte.
    Kann man beim Reiten schlafen? Beutereiter dürften sich auf diese nützliche Kunst verstehen. Lauscher jedoch hatte es bisher noch nicht versucht. Als er im Sattel zusammenfuhr, aufgeschreckt durch ein plötzliches Stolpern seines Pferdes,

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