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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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jener dunstigen Ferne, die sich jenseits des Talausgangs ausbreitete. Er legte sich zurück und beschloß, hier die Nacht zu verbringen.
    Draußen am Waldrand sah Lauscher seine beiden Pferde grasen. Er ging zu ihnen hinüber, sattelte sie ab und band sie mit langen Riemen an den Stamm der Eberesche. Sein Gepäck trug er in die Quellgrotte. Nachdem er noch ein paar Bissen gegessen hatte, wickelte er sich in seine Decke und rollte sich auf dem weichen, knisternden Lager zum Schlafen zusammen.
    Inzwischen war die Sonne unter den Horizont getaucht, und es wurde rasch dunkel. Lauscher sah dicht vor seinen Augen den Kiesel im Moos liegen. Er nahm ihn in die Hand und spürte die glatte, kühle Rundung zwischen seinen Fingern. Der Stein hatte seine aus der Tiefe heraus schimmernde Farbigkeit verloren und wirkte grau und stumpf, doch als Lauscher ihn in das Quellwasser zu seiner Seite tauchte, wurde die Oberfläche wieder blank und durchscheinend und ließ im schwindenden Licht grüne und violette Funken aufglimmen. Lauscher schaute in dieses Farbenspiel, darüber fielen ihm die Augen zu, und er geriet in den

Traum von der Frau an der Quelle
    Seine Schultern waren warm in eine weiche Rundung gebettet. Können Moos und dürres Laub so weich sein, fragte er sich, so warm und voller Leben? Er fühlte sich gehalten wie von sanften Armen, und als er die Augen aufschlug, sah er dicht über sich das Gesicht einer Frau, die sich über ihn beugte und ihn anschaute. Ihr Gesicht war ihm fremd und doch merkwürdig vertraut, und in ihren dunklen Augen flirrte das Licht der Sterne in Abertausenden farbiger Fünkchen. Er spürte ihren Schoß unter seinem Kopf und atmete einen Duft wie von Wein oder würzigen Hölzern. »Bist du die Wasserfrau, die in dieser Quelle wohnt?« fragte er leise und ohne sich zu regen; denn ihm schien, als könne jede Bewegung dieses Bild zerstören, dieses köstliche Gefühl, gehalten und umhegt zu werden. Statt einer Antwort legte die Frau den Finger auf die Lippen und strich ihm dann mit der Hand übers Gesicht. »Ach, Lauscher«, sagte sie mit ihrer dunklen Flötenstimme, »du hast dir den rechten Platz zum Schlafen ausgesucht. Hier an der Quelle konnte ich dich finden und dich in die Arme nehmen. Vielleicht vergißt du dann nicht völlig, wohin du eigentlich unterwegs bist, wenn du meine Augen über dir gesehen und meinen Schoß unter dir gefühlt hast.« Sie beugte sich nieder und küßte ihn auf den Mund, und während er ihr dabei in die Augen schaute, löste sich das Bild auf, und er sah über sich die Sterne durch die Lücken im Gewebe der Zweige funkeln. »Bleib doch!« sagte er im Halbschlaf und tastete mit der Hand seitwärts, doch da war nichts als raschelndes Laub. Enttäuscht legte er sich wieder zurück und fragte sich, ob dies alles Wirklichkeit oder nur ein Traumbild sei. Doch dieser Duft war noch immer zu spüren.

    Am Morgen weckte ihn der Gesang der Vögel, die hier im Gebüsch bei der Quelle nisteten. Lauscher öffnete die Augen und sah als erstes den Kiesel, den er am Abend zuvor aus dem Quellbecken genommen hatte, vor seinem Gesicht im Moos liegen. Er erkannte ihn wieder an der ovalen Form; die Oberfläche war wieder trocken und ließ keine Farbe durchschimmern. »Versteckst du dich schon wieder?« sagte Lauscher. »Dann mußt du hier bleiben.« Er warf ihn ins Wasser, und da lag der Stein nun wieder blank und leuchtend zwischen den anderen Kieseln. Lauscher legte sich auf den Bauch, hielt sein Gesicht so dicht über die Wasserfläche, daß er die feinen Spritzer der aufsteigenden Luftperlen auf der Haut spürte, und vertiefte sich in das geheimnisvolle Farbenspiel. »Was bist du für ein sonderbarer Stein!« sagte er. »So lange du in diesem Teich liegst, bist du schön und verlockend, doch wenn man dich herausholt, um dich in die Tasche zu stecken und mitzunehmen, siehst du nach kürzester Zeit aus wie irgendein gewöhnlicher Bachkiesel, mit dem man nach Hunden wirft. Bleib hier und warte auf mich! Vielleicht besuche ich dich einmal.« Dann stand er auf, machte sich ein kräftiges Frühstück, sattelte und packte seine Pferde auf und ritt weiter.
    Nach Tanglis Anweisung hätte er von hier aus nach Norden auf der Höhe des Jochs entlangreiten sollen, doch der Händler hatte auch gesagt, daß der Weg durch den Krummwald kürzer wäre. Lauscher blickte hinweg über das niedrige Gehölz, das seinen Namen wahrhaftig verdiente. Es bestand in der Hauptsache aus grotesk verkrüppelten Buchen,

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