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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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zwischen denen hie und da ein paar Weißdornsträucher und Berberitzen standen, vereinzelt auch manchmal eine Birke. Der Boden war noch feucht und glitschig von dem erst in den letzten Tagen weggeschmolzenen Schnee. Der Schnee war wohl auch schuld, daß hier an diesem der Witterung ausgesetzten Hang die Bäume nicht recht hochkommen konnten.
    Das alles hatte wohl doch seine natürlichen Ursachen, dachte Lauscher und konnte um so weniger begreifen, wovor man sich in diesem erbärmlichen Gestrüpp hüten sollte. »Holla, ihr häßlichen Baumtrolle!« rief er, »jetzt kommt der Träger des Steins! Beugt eure struppigen Köpfe noch ein bißchen tiefer!« Lachend trieb er sein Pferd durch das Gebüsch hinein in den Krummwald und dachte sich im Vorübertraben allerlei Spottnamen für die verhutzelten Gesellen aus, die hier am Weg hockten, und rief sie ihnen zu. Doch je weiter er ritt, desto gespenstischer erschienen ihm die verdrehten, blasig aufgetriebenen Knorzen der Buchen, nun doch eher wie eine im Licht des Tages erstarrte Horde von Trollen, die so aussahen, als würden sie nachts zu einem scheußlichen Leben erwachen. Lauscher hatte zuweilen das Gefühl, daß sie ihm aus hohlen Astaugen nachblickten, und konnte nur mit Mühe der Versuchung widerstehen, sich umzuschauen. Zur Umkehr war es jetzt zu spät, und er hoffte, diesen unheimlichen Wald noch vor Einbruch des Abends hinter sich zu bringen, doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Als der Pfad die Höhe des nächsten Kammes erreicht hatte, sah Lauscher vor sich, so weit das Auge reichte, ein bergiges, von flachen Talmulden zerfurchtes Gelände, das bis zum fernen Horizont überzogen war von dem schütteren Gebüsch des Krummwaldes.
    Er trieb sein Pferd so rasch voran, wie der Weg es erlaubte; es ging durch Täler und über Höhenrücken immer weiter nach Nordosten, aber Lauscher hatte dennoch das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen; denn der Krüppelwald rechts und links des Pfades blieb stets der gleiche. Die Sonne stand schon dicht über dem von Buschwerk pelzig besetzten Berghang im Westen, als Lauscher in einem der Täler auf einen Bach traf, an dem er seine Pferde tränken konnte. Ein paar Schritte weiter stand eine zwar niedrig gewachsene, aber breitastige Eberesche, an deren Zweigen noch ein paar Dolden mit dunkelrot vertrockneten Beeren hingen. Wenigstens einmal ein Baum mit geradem Stamm, dachte Lauscher und richtete sich unter dem Dach der herabhängenden Äste seinen Schlafplatz her.
    Mit Einbruch der Dunkelheit kam ein leichter Wind auf, der in unregelmäßigen Stößen in das Buschwerk fuhr und die vereinzelt noch an den Zweigen hängenden dürren Blätter zum Rascheln brachte. Dieses Wispern begann, je nachdem, wo der Wind einfiel, irgendwo am Hang, setzte sich fort, kam näher und entfernte sich wieder, als würde eine heimliche Botschaft weitergegeben. So jedenfalls kam es Lauscher vor, wenn er, müde von dem langen Ritt und schon halb im Schlaf, durch dieses zischelnde Geflüster wieder hellwach wurde. Ob nun der Wind zunahm oder woran es sonst liegen mochte: Das Geräusch erschien ihm mit jeder neuen Welle, die sich näherte, lauter, ja er meinte schließlich einzelne Stimmen herauszuhören.
    »Schläft Lauscher schon?« fragte einer.
    »Er ist noch wach«, wisperte ein anderer.
    Dann rauschte ein Chor lockender Stimmen: »Komm heraus, Lauscher, komm heraus!«
    Lauscher rührte sich nicht und dachte an die ungezählten verkrüppelten Baumtrolle, an denen er den ganzen Tag lang vorübergeritten war. Angestrengt starrte er hinaus ins Dunkel, und im schwachen Licht der Sterne schien ihm, als seien die Buchenstrünke ringsum näher gerückt, aber es mochte auch sein, daß ihn seine Augen täuschten. Kaum hatte er sich zurückgelegt, als das Geflüster schon wieder begann.
    »Will er nicht?« fragte einer.
    »Ich weiß, was wir machen müssen«, sagte ein anderer. Gleich darauf wurden die Pferde unruhig, stampften und schnaubten, als jage ihnen irgend etwas Angst ein. Lauscher streifte seine Decke ab, stand auf und spähte hinaus zu der Stelle, wo er seine Pferde an einen abgestorbenen Baumstrunk gebunden hatte. Die Stute warf den Kopf hoch, tänzelte auf der Stelle, und das Packpferd drängte sich dicht an sie. Etwas war nicht in Ordnung. Lauscher brach einen der tief herabhängenden Äste der Eberesche ab, um wenigstens eine Art Waffe in der Hand zu haben, und wollte hinüber zu seinen Pferden gehen, doch schon nach wenigen Schritten

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