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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Krieger, die Lauscher gefangen hatten, ritt hinüber zu dem Anführer der größeren Horde, einem hochgewachsenen mageren Alten mit faltigem Gesicht, dem schneeweiße Zöpfe über die Schläfen baumelten, und sagte ihm etwas in der Sprache der Beutereiter. Daraufhin blickte der Alte zu Lauscher hinüber und winkte ihn zu sich heran. Lauschers Begleiter ließ den Kopfriemen der Stute los und stieß ihm die Faust in den Rücken, damit er dem Befehl des Alten unverzüglich nachkam. Von dem, was er dazu sagte, verstand Lauscher nur die beiden Worte »Khan Hunli«.
    Als Lauscher sein Pferd vor Hunli anhielt und dem Khan ins Gesicht blickte, meinte er, Arni vor sich zu sehen. Die Ähnlichkeit der Zwillinge war unverkennbar, und doch gab es da einen Unterschied, der seinen Grund nicht nur darin hatte, daß Arni damals, als Lauscher ihn zum ersten und letzten Mal gesehen hatte, zu Tode verwundet gewesen war. Lauscher sah wieder Arnis Augen auf sich gerichtet, dunkle, nachdenklich blickende Augen, in denen der Ausdruck von Heiterkeit lag. Er wußte noch, wie ihn die Heiterkeit dieses Sterbenden verwundert hatte. Die Augen Hunlis waren anders, zwar von der gleichen Farbe, aber ihr Blick war hart, als seien sie aus schwarzem Blutstein geschliffen. Hunlis Lederkleidung war schmucklos bis auf die goldene Reiterfibel, die sein Wams über der Brust zusammenhielt. Urlas Gabe, dachte Lauscher, doch da riß ihn die scharfe Stimme des Khans aus seinen Gedanken. »Du kommst aus Fraglund«, sagte er, und als Lauscher ihn verblüfft anblickte, da er sich nicht denken konnte, woher Hunli das wissen könne, setzte der Khan hinzu: »Ich habe nicht behauptet, daß du dort zu Hause bist. Es kann natürlich auch sein, daß du dein Packpferd in Fraglund gestohlen hast. Ist es so?«
    Lauscher schüttelte den Kopf. Der Khan hatte seine Schlüsse offenbar nach dem Riemenzeug des Packpferdes aus dem Stall des Großen Brüllers gezogen, das war ihm jetzt klar.
    »Schade«, sagte der Khan. »Wer die Leute des Großen Brüllers beraubt, könnte bei mir auf Verständnis hoffen. Wer bist du also?«
    In Lauschers Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Sollte er seinen Namen und damit seine Herkunft preisgeben? Das erschien ihm nicht besonders ratsam nach dem, was der Khan eben über den Großen Brüller gesagt hatte. Andererseits bot sich jetzt die Gelegenheit, alles auf die Kraft seines Steins zu setzen. Aber Lauscher war sich nicht mehr so sicher, daß Hunli sich auch einem fremdstämmigen Erben gegenüber an seinen Schwur halten würde.
    Womöglich nahm er ihm den Stein weg, und womit sollte er sich selbst dann bei Arnis Leuten ausweisen? Lauscher hatte keine Zeit, diese Fragen weiter zu bedenken, denn der Khan sagte jetzt ungeduldig: »Hast du keinen Namen, oder bist du stumm?«
    »Ich bin ein fahrender Spielmann«, sagte Lauscher. »Das Packpferd hat man mir in Fraglund als Lohn gegeben.«
    »Dann mußt du dich gut auf deine Kunst verstehen, obgleich du mir eigentlich nicht danach aussiehst«, sagte der Khan. »Wenn sich zeigen sollte, daß du nicht so spielen kannst wie einer, der davon lebt, dann wirst du etwas zu verbergen haben. Aber das bekomme ich schon heraus. Wir haben ja viel Zeit. Jetzt zeig uns erst einmal, was du als Spielmann taugst!«
    Während dieser Worte des Khans war Lauscher eine vage Erinnerung durch den Kopf geschossen, daß er die Kraft seiner Flöte schon einmal an Tieren ausprobiert habe. Damals waren es Hunde gewesen, nur konnte er sich nicht entsinnen, wo und wann das gewesen war. Er wußte jetzt, was er tun wollte, aber er war sich durchaus nicht sicher, ob es auch den gewünschten Erfolg haben würde. »Du wirst zufrieden sein, Khan Hunli«, sagte er und lächelte etwas angestrengt. »Aber dazu mußt du mir die Hände losbinden lassen.«
    Der Khan gab einem seiner Leute einen Wink, auf den hin dieser Mann an Lauschers Seite ritt und ihm die Hände von den Fesseln befreite.
    »Jetzt beweise, daß du ein Spielmann bist!« sagte der Khan.
    »Ich hoffe, dich nicht zu enttäuschen«, sagte Lauscher. Er beugte sich über den Hals seines Pferdes, und während er mit der Rechten das silberne Rohr aus der Packtasche zog, flüsterte er Schneefuß zu: »Verschließe deine Ohren und rühre dich nicht von der Stelle!« Dann richtete er sich rasch auf und setzte das Instrument an die Lippen.
    Auf dem Gesicht des Khans erschien der Ausdruck ungläubigen Erstaunens. Er starrte auf die silberne Flöte und hatte wohl sofort erkannt,

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