Stein und Flöte
daß Schneefuß seinen Trab beschleunigte. Vielleicht riecht die Stute Wasser, hatte er gedacht, war aber zu müde gewesen, um Ausschau zu halten. Jetzt hörte er das Plätschern eines Bachs und merkte zugleich, wie durstig er selber war. Mühsam richtete er sich im Sattel auf und blickte sich um. Schneefuß trabte durch ein lockeres Erlengehölz. Ihr Kopf war vorgestreckt, und die geblähten Nüstern witterten den Bach, der ein Stück weiter vorn die grasige Niederung durchfloß. Die Weiden an seinem Ufer standen in voller Blüte; gelb aufgeplusterte Kätzchen saßen in dichter Reihe an jeder Rute. Lauscher ließ sein Pferd ungehindert bis zum Bach laufen und wartete, bis es sich sattgetrunken hatte. Erst dann stieg er ab, tauchte die Hände in das rasch dahinfließende Wasser, wusch sich das Gesicht, um die brennenden Augen zu kühlen, und trank dann selbst.
Das eisige Wasser vertrieb seine Müdigkeit, doch seinen Hunger konnte es nicht stillen. Lauscher durchsuchte seine Satteltaschen, aber da war nichts Eßbares zu finden. Immerhin stieß er dabei auf den Krug mit Vogelbeergeist. Er nahm einen Schluck davon, merkte aber sofort, daß man mit nüchternem Magen dergleichen Getränke besser mied. Der scharfe Schnaps stieg ihm augenblicklich zu Kopf, das Bild der Landschaft begann sich zu drehen, und der Boden schien zu schwanken. Lauscher klammerte sich an den Sattel, bis der Schwindel vorüber war, dann verstaute er die Kruke wieder an ihrem Platz und spürte dabei mit den Fingern die Rundungen der drei Krüglein, die er im Keller seines Großvaters hatte mitgehen lassen. ›Eine Stunde Kraft und drei Tage Schlaf‹ – das könnte jetzt nützlich sein, und er überlegte, ob er das Elixier ausprobieren sollte. Doch das ließ er wohl besser bleiben, solange er nicht sicher sein konnte, innerhalb der nächsten Stunde sein Ziel zu erreichen. ›Mach schnell, daß du nach Hause kommst?‹ – das war leicht gesagt, wenn man wußte, wie weit man noch zu reiten hatte.
Zunächst versuchte er sich erst einmal zu orientieren. Im Süden meinte er die Hänge des Krummwaldes zu erkennen. Sein Umweg hatte ihn also schon seinem Ziel ein Stück näher gebracht. Jetzt mußte er nur noch möglichst rasch weiter nach Norden reiten. Vielleicht hatte er Glück und traf noch vor dem Abend auf die Ansiedlung von Arnis Leuten. Jedenfalls sollte er sich hier nicht allzulange aufhalten. Die Beutereiter würden seiner Spur, die sich als dunkle Linie im Gras der Steppe abzeichnete, ohne Schwierigkeiten bis zu diesem Bach folgen können.
Während er Schneefuß noch eine Weile grasen ließ, damit wenigstens sein Pferd nicht von Kräften kam, dachte er darüber nach, wie er es anstellen könne, daß niemand erriet, wohin er sich von hier aus gewendet hatte. Hier in dem weichen Grasboden würde die Hufspur seines Pferdes noch nach Tagen zu sehen sein, und es schien ihm ein übles Gastgeschenk zu sein, Arnis Leuten die Feindschaft der Beutereiter auf den Hals zu ziehen. Da fiel ihm ein, daß Barlo ihm einmal erzählt hatte, wie er zu der Zeit, als er in Eldars Haus als Pferdeknecht diente und nachts auf Wolfsjagd ging, seine Spur vor den Knechten Gisas verborgen hatte. Er war zusammen mit Eldars Sohn von seinem Baumsitz aus durch das Wasser eines Bachlaufs bis hinunter ins Tal gelaufen und erst von dort aus nach Hause gegangen. Dergleichen ließ sich auch hier bewerkstelligen. So weit man sehen konnte, kam der Bach am Fuß des Gebirges entlang von Norden her geflossen. Ein Stück weit würde er ihn jedenfalls als Weg benutzen können.
Als er sich in den Sattel zog, spürte er, daß er seit zwei Tagen kaum etwas gegessen und noch weniger geschlafen hatte. Er trieb sein Pferd ins Wasser und ließ es im Schritt bachaufwärts gehen. Der Stute schien das wenig Spaß zu machen. Immer wieder rutschte sie auf dem glatten Geröll aus, aber Lauscher stellte mit Befriedigung fest, daß sie in dem steinigen Bachbett kaum eine Spur hinterließ, und das Wenige, das zu sehen war, würde die Strömung bald geglättet haben. Auf diese Weise kam er zwar nur langsam voran, aber mit jeder Stunde wuchs seine Sicherheit, daß er seine Fährte verwischt hatte. Zugleich nahm jetzt sein Schlafbedürfnis wie sein Hunger in erschreckendem Maße zu. Mehr als einmal war er nahe daran, aus dem Sattel zu gleiten, wenn Schneefuß auf einem besonders schlüpfrigen Kiesel ausglitt.
Als er wieder einmal durch ein Stolpern des Pferdes aufgeschreckt wurde, sah er, daß er am
Weitere Kostenlose Bücher