Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
Ziel war. Der Bach verließ das buschige Gehölz und überquerte ein Wiesengelände, das sich nach links in eine halbrunde Einbuchtung des Gebirgsstocks ausbreitete. In diesem Talkessel weidete eine ansehnliche Herde von Pferden, und auf der anderen Seite, wo das Buschwerk wieder bis zum Bach vorstieß, stand, halb verdeckt von Erlen und Birken, eine Reihe von Blockhäusern und Vorratsschuppen.
    Hier war keine Vorsicht mehr vonnöten. Ein leiser Schenkeldruck genügte, um Schneefuß aus dem Bachbett zu lenken. Bei den letzten Erlenbüschen hielt Lauscher an und schaute hinüber zu den Häusern. Er war wirklich in keiner guten Verfassung, aber die kurze Strecke über die Pferdeweide würde er auch noch hinter sich bringen. Dennoch zögerte er. Er versuchte sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn er dort drüben Höni, dem Stellvertreter Arnis, gegenüberstand. Taumelnd vor Müdigkeit und schwach vor Hunger, würde er sich kaum auf den Beinen halten können. Sollte das der erste Eindruck sein, den man bei Arnis Leuten vom Erben des Sanften Flöters und dem Träger des Steins haben würde? Wer würde ihn nach einem solchen Auftritt überhaupt noch ernst nehmen? Diese Befürchtung ergriff dermaßen von ihm Besitz, daß er schließlich meinte, seine Zukunft hänge einzig und allein davon ab, in welcher Haltung er sich Arnis Leuten bei der ersten Begegnung zeige. Und dann wußte er auch, wie er sich einen Auftritt von wünschenswerter Überzeugungskraft verschaffen konnte. Mit fliegenden Händen öffnete er seine Satteltasche und kramte nach dem Krüglein mit dem geheimnisvollen Saft, der Kraft für eine Stunde verlieh. Daß ein Reisender sich nach der Begrüßung dann erst einmal schlafen legte, würde jedermann verstehen. Er öffnete das apfelgroße, bauchige Gefäß und roch daran. Ein köstlich erfrischender Duft stieg ihm in die Nase, der in ihm eine verschüttete Erinnerung weckte. Irgendwann mußte er diesen Duft schon einmal gerochen haben. Ohne weiter darüber nachzugrübeln, setzte er den engen Hals des Krügleins an den Mund und trank einen kleinen Schluck. Als er den säuerlich-süßen Geschmack des prickelnden Getränks spürte, war er sicher, daß er nicht zum ersten Mal davon kostete, aber es wollte ihm nicht einfallen, wann und wo das gewesen war.
    Noch während er das Krüglein wieder verschloß und an seinen Platz steckte, begann er die Wirkung zu spüren. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen, und er fühlte sich frisch und kräftig, als sei er eben erst losgeritten. Jetzt aber schnell! sagte er sich. Mach, daß du nach Hause kommst! und gab Schneefuß die Sporen.
    Während er die Pferdeweide in raschem Trab überquerte, wurde er schon bemerkt. Ein paar Kinder, die bei den Büschen am Bach gespielt hatten, wurden vom Hufgetrappel aufgescheucht und schauten, wer da geritten kam. Dann liefen sie laut rufend in die Ansiedlung.
    Beim ersten Haus ließ Lauscher sein Pferd in Schritt fallen, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß er es besonders eilig habe. Sobald die Dorfstraße vor ihm lag, sah er, daß sein Einzug nicht ohne Zeugen vonstatten gehen würde. Überall waren die Leute auf das Geschrei der Kinder hin vor die Türen getreten und blickten ihm neugierig entgegen. Da er nicht recht wußte, wie er sich verhalten sollte, ritt er an ihnen vorüber auf die Mitte der Ansiedlung zu; denn dort würde Höni wohl zu finden sein. Lauscher hielt Ausschau nach einem Haus, dessen Größe und Ausstattung verriet, daß es von einem Mann solcher Bedeutung bewohnt wurde. Doch zunächst fiel ihm auf der Mitte des Dorfplatzes ein kleines Gebäude ins Auge, dessen altersgraues Balkengefüge vermuten ließ, daß es schon länger hier stand als die anderen Häuser, deren Gebälk noch so frisch war, daß an den hellen, mit der Axt behauenen Flächen stellenweise Harz austrat. Dieses unscheinbare Blockhaus war sicher Arnis Hütte, und das ansehnliche Gebäude dahinter, das sich von den anderen durch einen verandaartigen Vorbau unterschied, mußte der Wohnsitz von Arnis Stellvertreter sein.
    Im Weiterreiten kam Lauscher eine gloriose Idee: Zunächst würde er erst einmal dieser alten Hütte seine Verehrung darbringen. Das würde die Leute hier sicher beeindrucken, und außerdem ersparte er sich damit die Verlegenheit, irgendeinen fremden Menschen ansprechen zu müssen. Das Weitere würde sich dann schon finden. Er lenkte also sein Pferd vor den Eingang der Hütte, ohne Hönis Haus weiter Beachtung zu

Weitere Kostenlose Bücher