Stein und Flöte
Häusern.
Lauscher blickte ihnen ein wenig enttäuscht nach. Daß Arnis Leute überaus höfliche Menschen waren, hatte er schon mehrfach erfahren, aber etwas mehr Begeisterung hatte er doch erwartet. Doch dann fiel ihm ein, daß schon ein beträchtlicher Teil der Stunde verstrichen war, die ihn sein Wundertrank noch munter halten würde, und so war er schließlich ganz froh, hier nicht länger aufgehalten zu werden. Als habe er seine Gedanken erraten, sagte Höni jetzt: »Den Weitgereisten soll man nicht mit langen Begrüßungen ermüden. Komm in mein Haus, nicht als Gast, sondern als Mitglied meiner Familie!«
Er führte ihn über den Platz zu jenem Haus mit der Veranda. Unter dem von geschnitzten Pfosten getragenen Vordach stand eine junge Frau oder ein Mädchen und blickte ihm entgegen. Als Lauscher und Höni herankamen, verneigte sie sich, wenn auch nicht so tief wie die Leute auf dem Platz. Lauscher erwiderte diese Begrüßung auf gleiche Weise, und während ihm dabei der Gedanke durch den Kopf schoß, daß man hier auf die Dauer vor lauter Höflichkeit Kreuzschmerzen bekommen könne, sagte Höni: »Das ist meine Tochter Narzia.«
Lauscher richtete sich auf und wurde von der kühnen Schönheit des Mädchens getroffen wie vom Stich eines Messers. Narzia glich ihrem Vater in keinem Zug. Neben dem breitflächigen, wenn auch nicht feisten Gesicht Hönis wirkte Narzias Kopf noch schmaler, als er ohnehin schon war. Als erstes fielen Lauscher ihre grünen Augen auf; sie hatten die Farbe von feuchtem Moos und schauten ihn so geradezu an, daß er nahe daran war, den Blick zu senken. Auch sonst zeigte ihr hellhäutiges Gesicht kaum eine Verwandtschaft mit den flachnasigen Leuten hier. Sie gleicht einem stolzen Falken, der sich seiner edlen Abkunft bewußt ist, dachte Lauscher. Unter seinem bewundernden Blick begann Narzia zu lächeln und sagte: »Wir haben lange auf dich gewartet, Lauscher. Tritt ein in dein Haus!«
Sie führte Lauscher in eine geräumige Stube, bot ihm den Ehrenplatz am Tisch an, und erst als er sich gesetzt hatte, nahmen auch Höni und sie selbst Platz. Gleich darauf begannen Mägde geschäftig hin und her zu laufen und trugen Speisen von solcher Köstlichkeit auf, wie sie Lauscher nicht mehr vorgesetzt worden waren, seit er mit Gisa in Barleboog getafelt hatte, allerlei kleine und große Fische, Wildbret verschiedenster Art, dazu süßsauer eingelegte Früchte, die Lauscher nicht einmal dem Aussehen nach zu benennen wußte, flaumiges weißes Brot und noch allerlei Knabberzeug wie Nüsse und Honiggebäck. Lauscher konnte seine Verwunderung nicht verbergen, hier in dieser Einöde solch erlesene Genüsse vorgesetzt zu bekommen. »Wer Handel treibt, kann unter vielen Dingen wählen«, sagte Höni nicht ohne Stolz, als er Lauschers Erstaunen bemerkte, und goß ihm tiefroten Wein in den Silberbecher.
Während sie aßen, hatte Lauscher Gelegenheit, sich in der Stube umzusehen. Auch hier hielt man sich noch an die Sitte, die Mahlzeit nicht mit schwerwiegenden Gesprächen zu belasten. Die Decke des Raumes war aus reich geschnitzten Balken von würzig duftendem Holz gefügt, und auf den Wandborden standen rings silberne Gefäße aufgereiht. »Als wir uns hier ansiedelten, sah das noch anders aus«, sagte Höni mit Behagen. »Aber die paar Jahre seither haben uns schon ein wenig eingebracht. Arni sei Dank dafür!»
Seit Lauscher Hönis Haus betreten hatte, war ihm nicht mehr in den Sinn gekommen, daß die Zeit bemessen war, in der er noch über frische Kräfte verfügen konnte. Der Blick in Narzias grüne Augen hatte ihm überhaupt so manches aus dem Gedächtnis geraten lassen, wie sich noch herausstellen wird. So traf ihn das Ende seiner Frist völlig unvorbereitet. Der Bissen, den er eben hatte schlucken wollen, blieb ihm fast im Hals stecken. Er brachte es noch zuwege, ihn hinunterzuwürgen, doch als er mit einem Schluck Wein nachspülen wollte, zitterte seine Hand derart, daß er seinen Becher umstieß. »Verzeiht!« lallte er mit schwerer Zunge und starrte mit glasigen Augen auf den rasch sich ausbreitenden blutroten Fleck auf dem weißen Leinentuch. »Der lange Ritt …« Er spürte noch, daß er vom Stuhl zu gleiten begann, fiel und fiel, wurde in sausendem Sturz hinabgerissen in einen bodenlosen Schacht, und in dessen Tiefe erwartete ihn
Der Traum vom Falken
Er fühlte unter den Händen und im Nacken weiches, duftendes Gras. Das Sonnenlicht wärmte seine Glieder und drang als schwacher rötlicher
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