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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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schenken, obwohl er im Vorüberreiten noch bemerkte, daß auch dort ein Mann unter die Tür trat. Vor Arnis Hütte brachte er Schneefuß zum Stehen, stieg ab, ging ein paar Schritte auf die grob zusammengezimmerte Tür zu und verbeugte sich tief.
    So blieb er einige Zeit stehen und starrte auf die abgenutzte Schwelle. Offenbar hatte man hier alles in dem Zustand belassen, wie man es bei der Gründung der Ansiedlung vorgefunden hatte. Schließlich waren es unter anderen auch Arnis Füße gewesen, die diese Vertiefungen in den Holzbalken getreten hatten.
    Irgend etwas sollte jetzt geschehen, dachte Lauscher; denn diese gebeugte Haltung begann ihm allmählich unbequem zu werden. Hinter sich hörte er die Leute raunen. Dann näherten sich Schritte und machten neben ihm halt. Ohne seine Haltung zu ändern, blickte Lauscher zur Seite und sah zwei aus feinstem Hirschleder genähte Männerschuhe. Die kräftigen Beine, die darin steckten, waren mit ledernen Hosen bekleidet, wie sie von den Beutereitern und auch von Arnis Leuten getragen wurden. Als Lauscher sich ein wenig aufrichtete, um auch die obere Hälfte dieses Mannes betrachten zu können, merkte er, daß sein Nachbar sich gleichfalls tief verneigt hatte und jetzt in gleichem Maße wie er selbst seinen Oberkörper hob. Es mochte sein, daß es ihm seine Höflichkeit nicht erlaubte, aufrecht neben einem Gast zu stehen, der noch in der Verbeugung verharrte, und dies machte ihm offensichtlich Beschwerden; denn er war von beträchtlichem Leibesumfang und atmete schwer. Ob das Höni war? Lauscher hatte sich den Stellvertreter Arnis eigentlich anders vorgestellt, hochgewachsen und hager, wie es sich für einen Anführer ziemt. Ob nun Höni oder nicht, zumindest mußte der Dicke ein Mann von Bedeutung sein, und so beschloß Lauscher, ihn nicht länger der Qual dieser Ehrfurchtshaltung auszusetzen. Er richtete sich auf und bemerkte mit Befriedigung, daß der andere es ihm gleichtat und dabei erleichtert aufseufzte. Dann wendeten sich beide einander zu.
    Der Dicke sagte ein paar Worte, die Lauscher nicht verstehen konnte. Hoffentlich kann ich mich mit diesen Leuten überhaupt unterhalten, dachte Lauscher und sagte: »Verstehst du die Sprache von Fraglund?«
    »Ja«, sagte der Dicke. »Du wirst hier noch mehr Leute finden, mit denen du in deiner Sprache reden kannst.«
    »Das freut mich«, sagte Lauscher. »Verzeih mir, wenn ich zunächst Arnis Hütte die gebührende Ehre erwiesen habe. Ich habe eine lange Reise unternommen, um hierher zu kommen. Jetzt möchte ich gern mit Höni, dem Stellvertreter Arnis, sprechen.«
    »Du hast dich verhalten, als wärst du einer von uns«, sagte der Dicke. »Möge jeder Fremde dem weisen Arni, sein Name sei gepriesen, solche Achtung bezeugen! Und wenn du Höni suchst, so bist du schon am Ziel, denn er steht vor dir.«
    Da verbeugte sich Lauscher vor Höni, was dieser sogleich seinerseits mit einer Verneigung beantwortete, und als sich beide wieder aufgerichtet hatten, sagte Lauscher: »Ich grüße dich, Arnis Stellvertreter! Mein Name ist Lauscher, und deine Männer haben mich Träger des Steins genannt.«
    Als er das hörte, traten Tränen in Hönis Augen. Er breitete die Arme aus und drückte den ersehnten Ankömmling an seine überaus breite Brust. Dann schob er ihn auf Armeslänge von sich und sagte: »Willkommen bei Arnis Leuten, Träger des Steins! Ich will dich nicht als Gast begrüßen, denn du bist in der Tat einer von uns. Mögen die Kraft von Arnis Stein und die Kunst des Sanften Flöters, dessen Erbe du bist, Weisheit und Freude in unsere bescheidenen Hütten bringen!« Dann wendete er sich zu den Leuten, die sich auf dem Dorfplatz versammelt hatten und rief: »Lauscher, der Träger des Steins, ist endlich eingetroffen! Möge sein Name groß werden unter Arnis Leuten!«
    Jetzt hätte nach Lauschers Erwartung eigentlich das Freudengeschrei der Dorfbewohner einsetzen müssen, aber nichts dergleichen geschah. Alle, die ihm auf den Platz vor Arnis Hütte gefolgt waren, verbeugten sich tief vor ihm, so daß Lauscher sich schon wieder zu einer Rumpfbeuge genötigt sah, und dabei sagten sie mehr oder minder im Chor ein paar Worte, deren Übersetzung Höni sogleich lieferte: »Arni sei mit dir, Träger des Steins!« Sie sagten das nicht einmal sonderlich laut, sondern so, wie man eine gewohnte Grußformel gebraucht. Das war dann auch schon alles, denn gleich darauf gingen die Leute unter halblaut geführten Gesprächen zurück zu ihren

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