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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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er im Gras und hielt Belenika in den Armen. ›Hat dir die Jagd gefallen, mein Falke?‹ fragte sie und küßte ihn auf den Mund. Neben ihr saß Pfeil auf der Beute und zog seine Fänge aus dem blutigen Gefieder des Silberreihers.
    Am Abend dieses Tages bat mein Vater den Hüter der Falken um die Hand seiner Tochter. Er erzählte mir, daß er auf eine Ablehnung seiner Werbung gefaßt gewesen sei, doch zu seiner Überraschung habe sich Wendikar sogleich einverstanden gezeigt, als habe er dergleichen schon erwartet. Offenbar habe er diese Angelegenheit zuvor auch schon mit dem Herrn von Falkenor erörtert, denn er habe gesagt: ›Der Großmagier wird Belenika vermissen, denn er liebt sie wie eine leibliche Tochter. Aber er meint auch, daß eine solche Heirat die Freundschaft zwischen Beutereitern und Falkenleuten besser besiegeln wird als alle Verträge.‹
    Am Tag darauf ritt mein Vater nur mit seinen Männern zurück in die Steppe, aber ein Vierteljahr später kam er wieder nach Falkenor, und diesmal ritt er an der Seite Khan Hunlis, der dabeisein wollte, wenn im Haus des Großmagiers die Hochzeit gefeiert wurde. Jetzt weißt du, Lauscher, woher ich meine grünen Augen habe.«
    Lauscher hatte die ganze Zeit über, während Narzia sprach, nichts anderes gesehen als ihre Augen, und zeitweise war es ihm so vorgekommen, als sei hier nicht die Rede von Vergangenem, sondern von Gegenwärtigem, in das er selbst verstrickt war. Während sie von der Jagd auf den Silberreiher erzählte, meinte er, sich selbst als Falke in den Himmel zu schwingen, und dieses Gefühl schien ihm so vertraut, als habe er schon einmal die Luft durch das Gefieder seiner Flügel streichen gespürt und diese schwerelose Freiheit gekostet. Und wenn er dies nur in einem Traum erlebt hatte, dann war es einer jener Träume gewesen, die Künftiges vorausnehmen, dessen war er sicher. »Im Traum bin ich als Falke schon einmal mit dir geflogen, Falkenmädchen«, sagte er.
    »Deshalb also hast du mir diesen Namen gegeben, ohne von meiner Herkunft zu wissen«, sagte Narzia. »Erzähl mir davon!«
    Lauscher versuchte sich zu erinnern, doch die Bilder verschwammen in seinem Gedächtnis. Nur dieses köstliche Gefühl des Schwebens war ihm geblieben. »Ich weiß nur noch, daß es schön war«, sagte er. »Und ich glaube jetzt, daß dieser Traum mir etwas zeigen wollte.«
    »Was?« fragte Narzia.
    »Dich«, sagte Lauscher. »Ich habe schon immer solche Träume gehabt, seit ich Arnis Stein bei mir trage. Immer hatten sie mit Augen zu tun, die mich anblicken, wenn ich den Stein anschaue, und jetzt meine ich zu wissen, wessen Augen das sind.«
    »Zeig mir den Stein!« sagte Narzia.
    Lauscher zog den Beutel unter dem Hemd hervor und nahm den Stein heraus. Im ersten Augenblick war er enttäuscht, als er ihn betrachtete. Die Oberfläche erschien ihm matt und stumpf, doch das mochte auch an dem schwindenden Licht in der Stube liegen, denn draußen war es über Narzias Erzählung fast dunkel geworden.
    »Warte!« sagte Narzia. »Ich werde deinen Stein schon zum Glänzen bringen.« Sie ging hinaus und kam gleich darauf mit einem silbernen Leuchter zurück, auf dem drei Wachskerzen brannten. Sobald der Stein das Licht der Kerzen einfing, begann er zu schimmern, in der Tiefe glimmten grüne Funken und schlossen sich zusammen zu einem strahlenden Augenring. Aber waren da nicht noch andere Farben? Lauscher beugte sich über den Stein und versenkte sich in das Spiel der Farben. Blaue Lichter mischten sich unter die grünen, violett drang es aus dem Grund herauf, das Auge lebte und blickte ihn an. Lauscher vergaß, wo er war, und lag wieder unter den Büschen an der Quelle des Mittelbaches und sah das Gesicht jener Frau, in deren Augen die Sterne tanzten.
    »Träumst du schon wieder?« fragte Narzia.
    Lauscher schreckte hoch und blickte sie an. Auf ihrer Stirn stand wieder diese steile Falte, und ihre grünen Augen erschienen ihm kalt und hart. Hatte er sie erzürnt? »Warst du das, die mich in der Nacht an dieser Quelle besucht hat?« fragte er, noch immer in dem Bild befangen, das der Stein ihm wiedergebracht hatte.
    »Ich weiß nichts von einer Quelle«, sagte Narzia. »Aber ich habe oft an dich gedacht, seit unsere Händler von dir erzählt haben. Mag sein, daß meine Gedanken bis in deine Träume vorgedrungen sind. Aber die Zeit des Träumens ist vorüber, Lauscher, denn jetzt bist du in Wirklichkeit dort, wohin dich Arnis Stein führen sollte. Hast du das noch nicht

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