Stein und Flöte
begriffen?«
Während sie sprach, schwand der Zorn aus ihrem Gesicht, und ihre Augen schienen Lauscher all das zu verheißen, wonach er sich in den vergangenen Jahren gesehnt hatte.
»Er hat mich zu dir geführt«, sagte er.
»Zuerst einmal zu Arnis Leuten«, sagte Narzia. »Hast du so wenig Stolz, daß du um mich werben willst, ohne etwas Beachtenswertes vorweisen zu können außer dem, was dir andere vererbt haben?«
Jetzt begriff Lauscher, daß er sich hier nicht einfach in ein gemachtes Bett legen konnte, ohne sich und wohl auch Narzia herabzusetzen. »Ich will für Arnis Leute tun, was in meinen Kräften steht«, sagte er. »Ihr müßt mir nur sagen, was ihr von mir erwartet. Du solltest doch wissen, daß ich alles daransetzen würde, um dich zu gewinnen.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Narzia und lächelte zufrieden. »Du wirst zu gegebener Zeit erfahren, welche Hoffnungen wir in dich setzen.«
Einige Wochen später wurde Lauscher von Höni gebeten, an einer jener Besprechungen teilzunehmen, die den Versammlungen der Ältesten stets vorangingen. Lauscher beherrschte inzwischen die Sprache der Beutereiter, die von Arnis Leuten weiter benutzt wurde, so weit, daß er Gesprächen folgen konnte.
»Ich mache mir Sorgen wegen der Leute im Gebirge«, sagte Höni, als Lauscher sich zu ihm und Narzia an den Tisch in der Stube gesetzt hatte. »Obwohl wir nun schon seit einigen Jahren friedlich bei Arnis Hütte leben, sehen die Bergdachse in uns noch immer Mitglieder der gleichen Horde, deren Khan vor langer Zeit versprochen hat, ihr Gebiet nie wieder zu betreten. Es ist nicht gut, mit seinen Nachbarn in Fremdheit zu leben, nicht davon zu reden, daß der Handel mit den Erzeugnissen der Goldschmiede uns großen Gewinn einbringen könnte.«
»Ich verstehe das nicht«, sagte Lauscher. »War Arni nicht mit Urlas Verwandten bei den Bergdachsen verschwägert?«
»Das war er«, sagte Höni. »Aber seine Töchter haben nie in den Zelten der Beutereiter gelebt, und er selbst ist der einzige aus der Horde, dem es je erlaubt war, die Dörfer der Bergdachse zu besuchen. Es ist nun einmal so, daß die Untaten vieler im Gedächtnis der Leute länger haften bleiben als die Freundlichkeit eines einzelnen. Ich frage mich schon lange, auf welche Weise wir die Leute im Gebirge von unserer friedlichen Gesinnung überzeugen können, wenn es keinen Weg gibt, mit ihnen in Verbindung zu treten.«
Narzia blickte Lauscher an und sagte: »Wartet hier nicht eine Aufgabe für dich? So wie du aussiehst, wird dich keiner für einen Abkömmling der Beutereiter halten, selbst wenn du dir Zöpfe wachsen lassen würdest. Und mit Hilfe deiner Flöte sollte es dir leicht fallen, die Bergdachse freundlich zu stimmen.«
»Das traue ich mir schon zu«, sagte Lauscher. »Zudem wird mir auch mein Stein helfen, bei diesen Leuten die Erinnerung an Arni aufzufrischen.«
»Darauf würde ich mich an deiner Stelle nicht verlassen«, sagte Höni. »Die Bergdachse sind in aller Regel ziemlich nüchterne Leute, und von Promezzo, der als Erzmeister allen Dörfern im Gebirge vorsteht, sagt man, er sei nur von Dingen zu überzeugen, die er mit Händen greifen könne. Nur das zählt für ihn, was seinem scharfen Verstand erklärbar erscheint, und dazu gehört dein Stein sicher nicht. Von Geheimnissen und Träumen hält Promezzo nicht viel, wie man hört.«
Narzia nickte ihrem Vater zu und sagte: »Du sprichst aus, was ich denke. Wäre es nicht überhaupt besser, wenn Arnis Stein in seiner Hütte aufbewahrt würde?« und als sie sah, wie Lauscher unwillkürlich nach dem Beutel auf seiner Brust faßte, als wolle er ihn vor fremdem Zugriff beschützen, setzte sie hinzu: »Du darfst das nicht falsch verstehen, Lauscher. Keiner mißgönnt dir den Stein, denn Arni hat dich zu seinem Träger erwählt. Und bei den Versammlungen der Ältesten sollst du ihn offen am Hals tragen als Zeichen deiner Würde. Aber ist es vernünftig, daß du ihn auch dann bei dir trägst, wenn du einen solchen Ritt unternimmst? Es könnte dir ein Unglück zustoßen, du könntest ihn verlieren oder er könnte dir geraubt werden. Der Stein ist für Arnis Leute zu kostbar, als daß man ihn einer solchen Gefährdung aussetzen dürfte. Außerdem habe ich gesehen, wie leicht dich der Anblick des Steins zum Träumen verleitet, und bei der Aufgabe, die du dir jetzt vorgenommen hast, könnte es gefährlich für dich sein, wenn du dich in Träumen verlierst. Jetzt mußt du deine Gedanken auf Dinge
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