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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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richten, die wirklich sind. Auch sollst du nicht vergessen, was du bei alledem zu gewinnen hoffst.«
    Lauscher dachte an nichts anderes und fand auch sonst keinen vernünftigen Einwand gegen das, was Narzia vorgebracht hatte, wenn es ihm auch leid tat, daß er sich von seinem Stein trennen sollte. Er gab sich damit zufrieden, daß der Stein schließlich seinen Zweck erfüllt habe, indem er ihn hierher geführt hatte. Nun war es wohl an der Zeit, alles übrige selber in die Hand zu nehmen.
    In der Ältestenversammlung, die am nächsten Tag in Arnis Hütte stattfand, wurde alles so beschlossen, und dies unter vielen feierlichen Reden und Zeremonien, insbesondere was die Niederlegung des Steins betraf. Lauscher trug den Beutel während der Beratung für alle sichtbar auf der Brust zum Zeichen dafür, welches Amt ihm das Recht gab, als junger Mensch ohne eigene Familie im Kreis der Ältesten zu sitzen. Wie Narzia ihm geraten hatte, wartete er, bis Höni die Rede auf die Bergdachse brachte und dabei sagte, wie wünschenswert es sei, Beziehungen mit ihnen anzuknüpfen. Erst dann meldete sich Lauscher zu Wort und erbot sich, diese Aufgabe zum Wohle des Dorfes zu übernehmen. »Erlaubt mir«, schloß er seine Rede, »diesen Leuten Arnis Weisheit und Güte, nach der wir alle streben, in Erinnerung zu rufen. Mit seiner Hilfe wird es mir hoffentlich gelingen, ihre Freundschaft für mich und für alle Leute Arnis zu gewinnen.«
    Diese Worte fanden starken Beifall, und einer der Ältesten sagte, nun könne man sehen, daß Arni noch im Tode für sie gesorgt habe; denn dieser Träger des Steins werde die Dinge schon zum Besten wenden. Das klang zwar so, als habe er eigentlich sagen wollen, es sei nun auch höchste Zeit, daß dieser Junge etwas Vernünftiges anfange, aber Höni überhörte diesen Unterton und sagte: »Ja, das wird er; denn Arni, der diese Gabe uns allen zugedacht hat, wußte, wen er zu ihrem Überbringer bestimmte. Dieser junge Mann namens Lauscher, Sohn des Großen Brüllers und Enkel des Sanften Flöters, soll für alle Zeiten ›Träger des Steins‹ genannt werden, weil Arni ihm in weiser Voraussicht den Auftrag gegeben hat, dieses Kleinod zu bewahren, bis sein Volk sich in der Großen Scheidung gründen und zu einem festen Gemeinwesen zusammenwachsen konnte, und er soll auch der einzige sein, dem das Recht zukommt, den Stein bei besonderen Anlässen zu tragen. Aber seinen bleibenden Platz soll dieses erhabene Erbstück künftig in Arnis Hütte erhalten, damit seine geheime Kraft uns allen Erleuchtung bringe.«
    So hatte Lauscher sich das eigentlich nicht vorgestellt. Unversehens war der Stein aus seinem Besitz in das Gemeinschaftseigentum von Arnis Leuten übergegangen, und er selbst galt nur noch als der Überbringer. Er war sicher, daß Arni damals, als er ihm den Stein gab, nichts dergleichen geäußert hatte, aber Höni trug dies alles mit solcher Gewißheit vor, als sei er selbst dabeigewesen. Sein breites Gesicht wirkte wie aus einem Holzklotz herausgehauen und verriet keinerlei Gemütsbewegung, während er in psalmodierendem Tonfall diese Rede vortrug, als wiederhole er einen von altersher feststehenden Text. Und ehe Lauscher noch einen Einwand vorbringen konnte, bat Höni alle Anwesenden, sich von den Plätzen zu erheben und dem Stein die gebührende Ehre zu erweisen, wenn sein Träger ihn nun vor aller Augen enthüllen werde. Alle folgten sogleich seiner Aufforderung und verbeugten sich wieder einmal, so daß Lauscher gar nichts anderes übrig blieb, als den Stein aus dem Beutel herauszunehmen und vorzuzeigen, wenn er die Feierlichkeit dieses Vorgangs nicht stören wollte. »Arni sei Dank für seine Gabe!« murmelten die Ältesten und versuchten, aus ihrer gebeugten Haltung heraus einen Blick auf das Kleinod zu erhaschen.
    Lauscher fühlte sich unwohl in dieser Pose und wußte nicht recht, was er nun tun sollte. Doch Höni hatte auch alles weitere schon vorgeplant. Er deutete, als Lauscher ihn hilfesuchend anblickte, mit einer kaum merklichen Kopfbewegung auf die Stirnwand der Stube. Dort stand ein Tisch, der seiner schlichten Machart nach aus Arnis Besitz stammen mußte, und auf diesem Tisch hatte man eine goldene Schale gesetzt. Das also war der bleibende Platz, der für Arnis Stein vorgesehen war. Lauscher zögerte noch einen Augenblick, doch ein neuerliches, diesmal schon etwas deutlicheres Kopfnicken Hönis erstickte den letzten Rest von Widerstand in ihm. Auch fiel ihm ein, daß Narzia es übel

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