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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Falkenleuten leben die Frauen und Mädchen viel freizügiger als bei den Beutereitern, und mein Vater erzählte mir, daß er ziemlich verwirrt gewesen sei, als dieses schöne Mädchen ohne weiteres auf ihn zutrat, ihn begrüßte und gleich darauf auch noch fragte, ob er Lust habe, am nächsten Tag mit ihr auf die Falkenjagd zu reiten. Ich glaube fast, er hätte dieses Angebot als ungehörig abgelehnt, wenn er nicht schon zuvor dem Zauber ihrer Schönheit erlegen gewesen wäre.
    Am nächsten Morgen führte ihn Belenika hinunter in den Hof zum Haus der Falken. Es steht in jenem Winkel der inneren Mauer, der nach Osten weist. Mein Vater wunderte sich, daß man für Tiere ein derart prächtiges Gebäude errichtet hatte. Um die Außenmauer, die sich über einem fünfeckigen Grundriß erhob, lief in halber Höhe ein in Stein gemeißelter Fries von Falkenköpfen, und auch die bronzenen Türflügel waren geschmückt mit Darstellungen von Falken, die ihre Flügel ausgebreitet hatten, als wollten sie jedem den Zutritt verwehren, der kein Recht besaß, durch diese Tür zu gehen.
    Belenika besaß dieses Recht ganz offensichtlich, denn sie öffnete die Tür ohne zu zögern und führte meinen Vater in das Haus der Falken. Jedes der Tiere hatte hier eine eigene kleine Kammer, die nicht minder kostbar eingerichtet war als die Räume im Haus des Großmagiers. Die Vögel saßen auf goldenen Stangen und bekamen ihr Futter in silbernen Näpfen vorgesetzt. Große, durch kunstvoll geschmiedete Gitter geschützte Fenster ließen Licht und Luft herein. Bedienstete sorgten ständig dafür, daß die Kammern sauber gehalten wurden. Sobald diese Männer Belenika erkannten, verbeugten sie sich, und ein Falkenwärter, der hier offenbar die Aufsicht führte, lief herbei und fragte nach ihren Wünschen.
    ›Gib mir Weißfeder‹, sagte Belenika, ›und mein Gast soll mit Pfeil jagen.‹
    Die Falken, die der Wärter brachte, trugen rote Lederkappen auf dem Kopf, die auch die Augen bedeckten und auf dem Scheitel mit einem Stoß von Reiherfedern verziert waren. Als der Wärter meinem Vater den Falken auf den Handschuh setzte und dabei merkte, daß diesem Beutereiter der Umgang mit Falken nicht vertraut war, wollte er ihm ein paar Ratschläge geben, aber Belenika sagte: ›Laß nur! Ich bring’s ihm schon bei.‹
    Draußen vor dem Haus der Falken warteten zwei Bedienstete mit den Pferden, und gleich darauf trabten Belenika und mein Vater durchs Tor, die gerade Straße zwischen den Häusern entlang und dann durch das Stadttor hinaus ins Freie.
    Schon auf diesem ersten Ausritt beschloß mein Vater, dieses Mädchen zur Frau zu gewinnen, obwohl ihm bewußt war, daß er sich damit zu Hause einige Schwierigkeiten einhandeln würde. Die Frauen der Beutereiter pflegen ihre Zelte kaum zu verlassen, und er war sicher, daß Belenika sich nicht diesem Brauch fügen würde. Aber neben ihrer Schönheit war es wohl gerade ihre freie, selbstbewußte Art, die ihn beeindruckte. So verwegen wie sie hatte er bisher nur Männer reiten sehen.
    Bei einem lichten Auwald am Braunen Fluß hielt Belenika ihr Pferd an. Vereinzelt standen hier breitästige Balsampappeln, auf denen die Reiher ihre Ruhesitze hatten. ›Wir sind am Ziel‹, sagte Belenika und zeigte meinem Vater die silbern schimmernden Vögel, die, vom Blattwerk fast verborgen, im Geäst saßen.
    ›Wird der Falke meinem Befehl gehorchen?‹ fragte mein Vater.
    Belenika lachte. ›Vor allem wird er seiner eigenen Natur gehorchen‹, sagte sie. ›Die Weisheit der Falkenjagd besteht darin, sich die Beutegier des Falken zu Nutze zu machen. Solange er hungrig ist, wird er jede Beute schlagen, deren er ansichtig wird. Laß ihn nicht zu satt werden, und er bringt dir reiche Beute.‹
    Diese Erklärung leuchtete meinem Vater ein. ›Daß er die Beute schlägt, glaube ich schon‹, sagte er. ›Ich bezweifle nur, daß er sie mir dann bringt.‹
    Belenika holte ein kleines Stück Fleisch aus ihrer Satteltasche und gab es meinem Vater. ›Laß ihn aus deiner Hand fressen‹, sagte sie, ›dann wird er zu dir zurückkehren. Er wird seine Beute verachten um des Bissens willen, den du ihm gibst.‹
    Mein Vater bot seinem Falken das Stück Fleisch an, und der Vogel fraß es gierig. Belenika nickte zufrieden, und dann sagte sie: ›Jetzt laß uns jagen!‹ Sie klatschte in die Hände, daß die Reiher in den Pappeln aufflogen, dann streifte sie ihrem Falken die Lederkappe ab und warf ihn in die Luft. Mein Vater tat es ihr nach

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