Stein und Flöte
sorgfältig mit dem Drehriegel.
Als er zu seinem Pferd ging, stand der Falke noch immer über der Hütte. Es sah fast so aus, als habe der Vogel auf ihn gewartet; denn sobald Lauscher auf sein Pferd stieg, segelte der Falke nach Osten über die Wiese hin und tauchte jenseits der Bodenwelle hinab der Steppe zu.
Der Weg führte von Urlas Hütte aus durch ein Gewirr von Felsblöcken und dann schräg an einem steilen, von kurzem Gras bewachsenen Wiesenhang hinauf. Die Spur war hier viel deutlicher ausgetreten; hie und da zeichneten sich in der grauen, von silbrigen Glimmerflittern durchsetzten Erde die Eindrücke schmaler Hufe ab. Sie konnten von einem Maultier stammen, das vor nicht allzu langer Zeit vorbeigekommen sein mußte. Jetzt wunderte sich Lauscher nicht mehr, daß Urlas Hütte so gut instand war; offenbar wurde sie von den Leuten jenseits des Gebirges regelmäßig besucht und in Ordnung gehalten.
Bald mußte Lauscher wieder absteigen und Schneefuß am Zügel hinter sich herführen, denn der Anstieg wurde zunehmend schwieriger. Der Weg führte in steilen Windungen über eine abschüssige Schutthalde aufwärts, an deren Flanken sich schroffe Felszacken auftürmten. Das zu splittrigen Platten zersprungene, schiefrige Gestein gab bei jedem Schritt nach, und Schneefuß konnte sich einige Male nur durch einen wilden Satz davor retten, mit einer Ladung abrutschender Schieferplatten in die Tiefe gerissen zu werden.
Um die Mittagszeit hatte Lauscher endlich die Höhe erklommen. Überragt von bizarren Berggipfeln dehnte sich vor ihm eine von Felstrümmern übersäte Hochfläche, die nach rechts hin in eine tief eingeschnittene Klamm abbrach. Bis zur Paßhöhe schien der Weg nur noch leicht anzusteigen, so daß Lauscher wieder in den Sattel steigen konnte. Wegen des zerklüfteten Geländes ließ er Schneefuß jedoch nur langsam im Schritt gehen; denn er sah schon, daß er dicht an schroffen Abbrüchen würde vorüberreiten müssen.
Nach einer Weile entdeckte er in Richtung zur Paßhöhe hin auf der felsigen Fläche eine aus Steinbrocken angehäufte Pyramide, auf deren Spitze ein Stab steckte. Er hielt dieses weithin sichtbare Mal zunächst für eine Wegmarke, sah aber bald, daß der Pfad in einigem Abstand rechts daran vorbeiführte. Im Näherreiten erkannte er, daß dieses merkwürdige Bauwerk beträchtlich größer war, als er zunächst angenommen hatte. Es mußte eine Höhe von mindestens vier oder fünf Manneslängen haben; an dem Stab war ein Büschel befestigt, das im scharfen Jochwind wehte, und obenauf steckte ein seltsam geformter Gegenstand. All dies zusammen weckte Lauschers Neugier, und er beschloß, sich diese Sache aus der Nähe anzusehen. Hier schien sich jemand große Mühe gemacht zu haben, um ein weithin sichtbares Zeichen aufzurichten. Sobald er eine Stelle erreicht hatte, von der aus man ohne Schwierigkeiten zu dem Mal gelangen konnte, stieg er vom Pferd und kletterte durch das Felsgewirr hinüber. Und als er schließlich vor der hochgetürmten Pyramide stand, die jetzt sogar die Gipfel ringsum zu überragen schien, erkannte er auch ihre Bedeutung. Der Stab, den man auf ihrer Spitze eingerammt hatte, war die Lanze eines Beutereiters, unter deren Spitze ein Pferdeschwanz flatterte. Und auf das stählerne Stichblatt war ein Pferdeschädel gespießt, der aus leeren Augenhöhlen nach Osten zur Steppe hinausstarrte. Dies war ohne Zweifel das Grabmal jener Beutereiter, die hier im Schneesturm umgekommen waren, nachdem sie Urlas Mann beraubt und umgebracht und sie selbst als Gefangene davongeschleppt hatten. Es war auch deutlich, wer dieses Mal aufgerichtet haben mußte: Nur Leute von den Bergdachsen hatten diesen Pferdeschädel auf eine Weise anbringen können, daß er jedem Beutereiter als Warnzeichen entgegengrinste, der es noch einmal wagen sollte, die Paßhöhe zu überschreiten. Kehr um, wenn dir dein Leben lieb ist! Das sollte dieses Zeichen heißen. Oder waren damit nicht nur Beutereiter gemeint? Lauscher sah sich unversehens vor die Frage gestellt, ob er überhaupt weiterreiten sollte. Wußte er, wie die Bergdachse mit Leuten umgingen, die aus dem Osten übers Gebirge zu ihnen herunterstiegen? Doch dann dachte er an Narzia und daran, daß er unverrichteter Dinge zu ihr zurückkehren würde. Er mußte weiterreiten, denn er hatte keine andere Wahl. Aber er beschloß, zunächst zu verschweigen, in wessen Auftrag er unterwegs war.
Unter dergleichen Gedanken kehrte er zu seinem Pferd zurück und war
Weitere Kostenlose Bücher