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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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jetzt eigentlich ganz zufrieden damit, daß Arnis Stein fern auf seiner Goldschale ruhte. Sicher hatten diese abweisenden Gebirgsbewohner von Arnis Leuten gehört – wie hätten sie sonst den Verkehr mit ihnen verweigern können? –, und da sie, wie das Beispiel ihres Erzmeisters zeigte, durchaus nachzudenken verstanden, war nicht auszuschließen, daß sie ihn als Träger des Steins mit diesen ehemaligen Beutereitern in Verbindung brachten, vorausgesetzt, sie würden des Steins auf irgendeine Weise ansichtig werden, was durch unbedachtes Verhalten von seiner Seite durchaus geschehen konnte oder etwa auch dann, wenn er einen Unfall erlitt und dadurch außerstande gesetzt wurde, die Hände eines hilfsbereiten Menschen abzuwehren, der ihm Wams und Hemd öffnete, um ihm Erleichterung zu verschaffen, und dabei den Beutel mit dem Stein entdeckte … Er war sich der Gewundenheit solcher Überlegungen durchaus bewußt, während er langsam über das kahle Trümmerfeld weiterritt, aber es wollte ihm nicht gelingen, sich aus diesem Labyrinth der Gedankengänge zu befreien, ja es schien ihm zeitweise, als suche er nur nach einer Rechtfertigung dafür, daß er seinen Stein ohne nennenswerten Widerstand aus der Hand gegeben hatte. Anderseits bestand durchaus die Möglichkeit, daß der Stein ihm bei Arnis Verwandten unter den Bergdachsen hätte von Nutzen sein können. Aber was wußte er schon von diesen Leuten? Außerdem ließen sich die Dinge ohnehin nicht mehr ändern. Der Stein lag wo er lag, und der Beutel auf seiner Brust war leer.
    Unterdessen hatte Lauscher nach einem letzten kurzen Anstieg die Paßhöhe erreicht und blickte hinunter in das Tal, in dem die Bergdachse ihre Wohnsitze hatten. Über die Wipfel der Fichtenwälder auf den Hängen hinweg schaute er hinaus in eine zwischen bewaldete Bergkuppen eingebettete Niederung mit Dörfern und verstreut liegenden Einzelhäusern. Überall rauchten die Schlote der zahlreichen Schmieden, und auch schon in den näher liegenden schmalen Seitentälern, die tief in das Gebirgsmassiv einschnitten, sah Lauscher Rauch aufsteigen. Dort wurde wohl das Erz verhüttet, das die Bergdachse aus ihren Stollen förderten.
    Lauscher hielt sich nicht allzu lange bei der Betrachtung dieser Aussicht auf; denn die Sonne stand schon tief im Westen, und er wollte noch vor Einbruch der Nacht die ersten Häuser erreichen. Auf dieser Seite des Passes brauchte er nicht erst lange nach einem für Mann und Reiter gangbaren Pfad zu suchen. Hier gab es einen gut befestigten Karrenweg, der in weiten Schwüngen an dem stellenweise mit Knieholz bewachsenen Hang abwärts führte und weiter unten im Schatten zwischen den Fichtenstämmen untertauchte.
    Als er endlich den Talgrund erreichte, war es schon dunkel. Lauscher hörte seitwärts unter Bäumen und Gebüsch einen Bach rauschen, dessen Lauf der Weg eine Zeitlang folgte. Dann trat der Wald zurück und gab den Blick frei in einen kleinen Talkessel. Weiter voraus hob sich die Silhouette eines düsteren Gebäudes ab, dessen breiter, hoch aufgemauerter Kamin in den Nachthimmel ragte. Daneben stand ein niedriges Haus, aus dessen Fenstern Licht schimmerte. In der Hoffnung, hier ein Nachtlager zu finden, lenkte Lauscher sein Pferd auf das Haus zu, und als er nahe genug herangeritten war, daß man drinnen den Hufschlag hören konnte, trat ein Mann vor die Tür und hielt Ausschau nach diesem späten Gast. Lauscher stieg vom Pferd und fragte, ob er hier übernachten könne.
    »Platz ist genug da«, sagte der Mann, »soweit du mit einem schlichten Lager zufrieden bist. Wir sind einfache Eisenschmelzer und können dir kein weiches Daunenbett bieten.« Die Arbeit am Schmelzofen hatte diesen Mann gezeichnet: Seine rechte Gesichtshälfte war von einer breiten, pockigen Brandnarbe verunstaltet, die von der leeren Augenhöhle bis in die Lippen hineinwucherte und die Ursache dafür bildete, daß sich sein Mund beim Sprechen nach der linken Seite verzog, was seinem Gesicht einen hämischen Ausdruck verlieh. Doch sein verbliebenes Auge strafte diesen Anschein Lügen, denn es blickte freundlich. Er führte Lauscher, als dieser sich einverstanden erklärt hatte, zu einem Schuppen, der dem Haus angebaut war, und zeigte dem Ankömmling, wo er sein Pferd unterstellen konnte, half ihm auch beim Absatteln und nahm ihm einen Teil seines Gepäcks ab, als sie zur Haustür zurückgingen. »Es geschieht selten, daß sich ein Fremder hierher verirrt«, sagte er. »Wo kommst du

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