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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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jagte sie von der Wandbank hoch, ließ sie trampelnd im Kreis tanzen, bis sie taumelten wie Betrunkene, und als sie sich dann erschöpft auf die Bank fallen ließen, spielte er ihnen eine Ballade in jenem derben, volkstümlichen Ton, wie er ihn auf Jahrmärkten gehört hatte. Erst viel später wurde den Eisenschmelzern bewußt, daß sie den Text dazu verstanden hatten, ohne daß einer gesungen hätte, und sie verstanden ihn so gut, daß diese Ballade noch Jahre danach im Tal folgendermaßen gesungen wurde:
    Klein Rikka wollte die Zauberer sehn
    und durfte doch nicht zum Markte gehn.
    Im Morgengraun
    ist sie abgehaun.
    Nun hört nur, was weiter geschah:
    Kaum ist sie im Wald, da wird sie gepackt,
    von rothaarigen Kerlen eingesackt.
    Die machen bald
    noch acht Männer kalt.
    Was meint ihr, was weiter geschah?
    Ihr Vater findet die blutige Spur.
    Wie ihm da der Zorn in die Glieder fuhr!
    Er folgt ihr allein
    über Stock und Stein.
    Schreckt euch nicht, was weiter geschah?
    Er reitet bis vor des Häuptlings Haus,
    fordert Kluibenschedl zum Kampfe heraus.
    Eh der Tag verrinnt,
    gewinnt er sein Kind.
    Wißt ihr auch, durch wen das geschah?
    Der Vater hieß Arni und trug Urlas Stein,
    er ritt mit der Horde und ritt auch allein,
    war keinem verhaßt
    und jedermanns Gast,
    auch hier, wo dies alles geschah.
    Als er diese Ballade zu Ende gespielt hatte, setzte Lauscher endlich seine Flöte ab. Die Männer waren mittlerweile wieder zu Atem gekommen und spendeten lautstark Beifall. »Mit diesem Lied wirst du in Arziak dankbare Zuhörer finden«, sagte Schiefmaul. »Dort gibt es manchen, der sich gern an Arni erinnert, allen voran die Frau des Erzmeisters, denn sie ist Arnis Tochter.«
    Das hörte Lauscher gern. Besser hätten die Dinge für ihn gar nicht liegen können. Wenn Arnis Tochter die Frau des mächtigsten Mannes im Tal war, sollte es ihm nicht schwerfallen, die Bergdachse für die Sache von Arnis Leuten zu gewinnen. »Ich hatte gehofft, Akka hier im Tal zu treffen«, sagte er. Schiefmaul blickte ihn erstaunt an, als er diesen Namen nannte. »Du weißt hier bei uns gut Bescheid«, sagte er. »Warst du schon einmal in Arziak?«
    »Nein«, sagte Lauscher. »Aber ich bin bei Akkas Schwester Rikka zu Gast gewesen, und einmal habe ich auch Arni selbst getroffen.«
    »Du scheinst schon als Junge weit herumgekommen zu sein«, sagte Schiefmaul. »Man hat hier bereits vor ein paar Jahren erzählt, daß Arni tot sei.«
    »Das ist richtig«, sagte Lauscher. »Er starb vor vier Jahren.«
    »Ein Jammer!« sagte einer der anderen Männer. »Er war der einzige, der diese Hunde von Beutereitern hätte in Schranken halten können. Doch Khan Hunli scheint nicht der Mann zu sein, der dem Rat eines solchen Bruders folgt.«
    »Khan Hunli wohl nicht«, sagte Lauscher. »Man spricht aber davon, daß Arni unter den Beutereitern dennoch Gefolgsleute gefunden haben soll, wenn auch erst nach seinem Tod.«
    Schiefmaul lachte. »So etwas ähnliches habe ich auch schon gehört«, sagte er. »Aber die Beutereiter sind schlaue Burschen. Streuen Gerüchte aus, damit man sie ungehindert ins Tal läßt, und wenn sie dann einmal da sind, schneiden sie einem unversehens die Gurgel durch.«
    Einer der anderen Männer fürchtete jedoch, daß ihm hier eine gute Geschichte entging. »Laß ihn doch erzählen, was er darüber weiß!« sagte er. »Spielleute erfahren so manches, wenn sie durch das Land ziehen.«
    Diese Aufforderung war für Lauscher verlockend, aber er winkte dennoch ab und sagte: »Als Geschichtenerzähler tauge ich nicht viel. Ich verstehe mich nur auf die Sprache meiner Flöte.« Ist es ein Wunder, daß ihn alle sogleich bestürmten, noch ein Stück zu spielen? Genau das war es, worauf es Lauscher angelegt hatte. Er ließ sich noch ein bißchen bitten, griff dann, ein wenig widerstrebend, zu seinem Instrument und fing an zu flöten. Es war weder ein Lied noch ein Tanz, was er spielte, auch keine Ballade, deren Text man hätte wiederholen können. Diesmal ließ Lauscher aus den Tönen seiner Flöte Bilder wachsen, Bilder von einem Dorf, in dessen Mitte eine altersgraue Holzhütte stand, und als er die Männer in die Hütte führte und ihnen den Stein auf der goldenen Schale vor Augen stellte, wußte jeder von ihnen, daß dies Arnis Hütte war und daß diese Leute, die sich an jener Stelle angesiedelt hatten, dem friedlichen Weg Arnis folgen wollten. Lauscher führte sie wieder hinaus aus der Hütte und zeigte ihnen die unbezopften Männer, die

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