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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Weg du nimmst, wenn ich nur ins Flachtal komme.« Man konnte ihr ansehen, daß ihr dies durchaus nicht gleichgültig war, aber sie blieb bei ihrem Entschluß.
    »Dann sattle inzwischen dein Pony«, sagte ihr Vater. »Wir kommen gleich nach.« Er bat Lauscher, einen Augenblick zu warten, ging hinaus und kam gleich darauf mit zwei Jagdbogen und Köchern mit Pfeilen zurück. »Welchen magst du?« fragte er. Lauscher probierte beide Bogen aus, spannte die Sehnen und ließ sie wieder zurückschnellen. Der zweite Bogen schien ihm besser in der Hand zu liegen, und den bat er sich aus.
    »Mir scheint, du verstehst dich aufs Bogenschießen«, sagte Promezzo. »Was hast du zuletzt gejagt?«
    »Wölfe«, sagte Lauscher.
    Der Erzmeister pfiff anerkennend durch die Zähne. »Die trifft man hier selten«, sagte er. Dann gingen sie hinaus zu den Pferden, die der Knecht schon gesattelt und aus dem Stall geführt hatte. Arnilukka saß bereits auf ihrem Pony, einem kräftigen, schwarzweiß gescheckten Tier, und konnte es kaum erwarten, endlich in ihr geliebtes Flachtal zu kommen.
    Zunächst ritten sie ein Stück talabwärts auf der Straße. Dann schlug Promezzo einen Weg ein, der nach rechts in ein Seitental abzweigte und eine Zeitlang an einem Bach entlang zwischen Wiesen dahinlief, über denen noch der Morgendunst lag. Zu beiden Seiten schoben sich bewaldete Kuppen heran und engten den vorerst noch flachen Talboden immer stärker ein. Der Weg begann merklich anzusteigen, und mit jeder Biegung des Tals traten neue Bergrücken ins Blickfeld, die einander in stetem Wechsel überschnitten bis zu einem fernen, blau verschwimmenden Höhenrücken. »Dort müssen wir hinüber«, sagte Promezzo, »und dann geht’s auf der anderen Seite rasch hinunter ins Flachtal.«
    »Aber vorher müssen wir durch den Schauerwald«, sagte Arnilukka.
    »Warum heißt dieser Wald so?« fragte Lauscher.
    »Ich weiß es nicht«, sagte das Mädchen, »aber er macht einem angst. Die Bäume dort sind uralt und bucklig und haben lange Bärte wie alte Männer.«
    »Was redest du da!« sagte Promezzo. »Das ist ein ganz gewöhnlicher Jochwald mit flechtenbehangenen Wetterfichten, die der Sturm ein bißchen gezaust hat. Ich weiß auch nicht, warum man diesen Wald so nennt. Vielleicht bedeutet der Name nur, daß man von dort aus nach beiden Seiten in die Täler hinunterschauen kann. Aus einem Schau-Wald machen die Leute dann gleich einen gespenstigen Schauerwald.«
    Je weiter sie ritten, desto schmäler wurde der Wiesenstreifen, durch den sich der Bachlauf schlängelte. Die baumbestandenen Hänge rückten immer näher, und der Wald schob seine Vorposten heran, buschige Haselstauden hockten am Weg, dann und wann tauchten die Reiter in den Schatten eines knorrigen Bergahorns. Bald waren es Gruppen von einem halben Dutzend Bäumen und mehr, die ihre Zweige über den Bach hängen ließen, und kurze Zeit später befanden sich die Reiter unversehens im Wald, ohne recht gemerkt zu haben, an welcher Stelle er begonnen hatte. Der Weg trennte sich vom Bach und führte seitwärts am Hang empor; eine Zeitlang hörten sie noch das Wasser in der Tiefe rauschen, doch dieses Rauschen mischte sich schon mit dem Brausen des Windes in den Kronen turmhoher Buchen und war bald nicht mehr davon zu unterscheiden.
    Unten zwischen den Wiesen hatte Arnilukka ihr Pony zeitweise ein Stück galoppieren lassen, bis sie den beiden Männern weit voraus war. Jetzt hielt sie sich, so weit es der schmale Saumpfad erlaubte, dicht an der Seite ihres Vaters oder auch neben Lauschers Pferd, obwohl der Wald hier noch keineswegs irgend etwas Gespenstisches an sich hatte. Jedenfalls konnte Lauscher nichts dergleichen bemerken. Im Gegenteil: Ihm gefiel dieser Wald. Aus dem üppig wuchernden Farnkraut wuchsen die silbergrauen Buchenstämme hoch empor und entfalteten erst weit oben ihr Geäst zu einem Gewölbe von jungem Frühjahrslaub, das unter der Sonne in allen Schattierungen von hellem Grün flimmerte.
    Das heisere Kreischen eines Hähers ließ Arnilukka zusammenschrecken. Lauscher legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: »Hier brauchst du dich doch nicht zu fürchten. Das ist noch nicht der Schauerwald.«
    »Nein«, sagte das Mädchen. »Aber ich bin überhaupt nicht gern im Wald. Man kann keine zehn Schritte weit sehen und weiß nie, was sich im Schatten zwischen den Bäumen versteckt.«
    »So lange wir bei dir sind, kann dir doch nichts geschehen«, sagte Lauscher, aber er spürte, daß die

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