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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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den größeren!« Er blieb stehen, riß einen Pfeil aus dem Köcher und spannte seinen Bogen. Im nächsten Augenblick stand Lauscher schon neben ihm und legte seinen Pfeil auf die Sehne. Die Wölfe waren nur noch wenige Sprünge von Arnilukka entfernt, als ihr Lauf plötzlich wie von einer unsichtbaren Kraft aufgehalten wurde. Einen Augenblick lang standen sie mit gesträubten Nackenhaaren, hoben die Köpfe und stießen ein weithin hallendes Geheul aus. »Schieß!« rief Promezzo. Ihre Pfeile schwirrten fast zugleich von der Sehne und trafen beide ins Ziel. Die Wölfe sprangen hoch und fielen dann zuckend zur Seite.
    Gleich darauf waren die Männer bei dem Mädchen. »Kümmere dich um die Bestien!« sagte Promezzo zu Lauscher, riß, seine Tochter aus dem Gras hoch und drückte sie an sich. Lauscher zog sein Messer und näherte sich vorsichtig den beiden Wölfen, die wenige Schritte entfernt im Gras lagen. Der größere war schon tot, der kleinere jedoch atmete noch von Zeit zu Zeit in keuchenden Zügen. Lauscher kniete neben ihm nieder, um ihm den Fangstoß zu geben, als ihm selbst eine Entdeckung wie ein eisiger Messerstoß ins Herz fuhr: Dieser Wolf hatte saphirblaue Augen! Und während er noch in die blauen Wolfsaugen blickte, begann sich das Tier zu verwandeln. Es sah aus, als würde das struppige graue Fell Haar für Haar in die Haut zurückgezogen, die Gestalt änderte sich, Glieder streckten sich aus, der klaffende Wolfsrachen trat zurück und glättete sich zu einem Gesicht, dem schönen Gesicht einer Frau. »Gisa!« sagte Lauscher und ließ sein Messer fallen.
    »Jetzt hast du mir den Rest gegeben, Lauscher«, sagte Gisa und tastete nach dem Pfeil, der unter ihrer linken Brust aus dem nackten Körper ragte. Sie atmete mühsam, aber ihr Gesicht war ruhig, als sei sie zufrieden mit dieser Entwicklung der Dinge.
    »Warum wolltest du das Mädchen umbringen?« fragte Lauscher.
    »Wölfe sind auf Beute aus«, sagte Gisa hart. Doch dann lächelte sie plötzlich und fügte hinzu: »Ach, Lauscher, du weißt noch immer nicht viel. Vielleicht habe ich gemeint, ich könne dich zurückgewinnen, wenn ich das Kind aus der Welt schaffe. Aber das war kein guter Einfall, wie sich herausgestellt hat.«
    »Was hat Arnilukka damit zu tun?« fragte Lauscher.
    »Du kannst nicht erwarten, daß ich dir das erkläre«, sagte Gisa. »Aber ich hätte wissen müssen, daß sie beschützt wird.«
    »Hast du Promezzo und mich nicht gesehen?« fragte Lauscher verwundert.
    »Ihr seid kein besonderer Schutz«, sagte Gisa. »Seit Stunden sind wir schon hinter euch hergeschlichen. Ich hätte das Mädchen laufen lassen, wenn ich es nicht mit dir zusammen gesehen hätte, Lauscher. Du hättest sie nicht retten können. Der Baum war ein besserer Schutz.«
    »Welcher Baum?« fragte Lauscher.
    »Der sie festgehalten hat in seinem Schutzbereich«, sagte Gisa. »Hast du nicht bemerkt, was für ein Baum das ist?«
    Lauscher blickte sich um und sah Promezzo abgewandt mit seiner Tochter im Arm unter den ausgebreiteten Zweigen einer blühenden Eberesche stehen. Jetzt wußte er, warum die Wölfe gezögert hatten, und nur dieses Zögern hatte Arnilukka gerettet. Gisa atmete schwer. »Willst du mir eine Bitte erfüllen, Lauscher?« fragte sie, und als Lauscher wortlos nickte, sagte sie: »Verscharre meinen Körper hier oben am Waldrand und pflanze auf mein Grab eine junge Eberesche. Wenigstens im Tod will ich nicht mehr mit den Wölfen laufen.« Dann streckte sie sich aus und starb.
    Lauscher blieb neben ihr im Gras sitzen und betrachtete ihr Gesicht. Es sah ruhig und friedlich aus, ähnlich wie damals, als er sie mit seinem Stein berührt hatte.
    »Sind die Wölfe tot?« rief Promezzo herüber.
    »Ja«, antwortete Lauscher. »Sie sind beide tot. Ich will den einen hier am Waldrand verscharren.«
    »Wozu?« fragte Promezzo. »Laß sie doch für die Bergadler zum Fraß liegen.
    »Nein«, sagte Lauscher. »Ich habe diesen Wolf seit langem gekannt und bin ihm diesen Dienst schuldig. Geh mit Arnilukka inzwischen wieder aufs Joch! Sie soll die toten Tiere nicht mehr sehen.« Er wartete, bis der Erzmeister mit seiner Tochter weit genug entfernt war, daß er nicht erkennen konnte, wer hier begraben wurde. Beim Heraufreiten hatte Lauscher am Waldrand eine Stelle gesehen, an der eine alte Fichte vom Sturm umgestürzt und entwurzelt worden war. Das Loch, das ihr Wurzelstock zurückgelassen hatte, würde für ein Grab reichen. Er trug Gisas Leiche zu diesem Platz,

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