Stein und Flöte
wartete, bis wieder Ruhe herrschte, und dann fragte er: »Ihr wollt also weiterhin mit Händlern nichts zu tun haben?«
»Mit denen aus dem Westen nicht!« rief jemand. Lauscher erkannte Sparro als den Sprecher. Der Eisenschmelzer war ein paar Schritte vorgetreten, als wolle er noch mehr sagen.
»Gibt es denn noch andere Händler?« fragte Promezzo.
»Ja«, sagte Sparro, und Lauscher freute sich jetzt zum zweiten Mal, daß aus dem schiefen Maul eine solch laute, klare Stimme drang. Sparro wandte sich der Versammlung zu und fuhr fort: »Die meisten von uns haben schon von jenen Leuten Arnis gehört, die im Osten jenseits des Gebirges Hütten gebaut haben und nicht mehr auf Beute ausziehen, sondern friedlich Handel treiben. Wir sollten ihnen helfen, indem wir ihnen erlauben, bei uns einzukaufen.«
»Und warum sollten wir das tun?« fragte der alte Goldschmied.
»Weil wir unseren eigenen Nutzen davon haben werden«, sagte Sparro. »Zum einen hat der Dicke, den ihr vorhin ausgelacht habt, gar nicht so unrecht. Wenn die Handwerker ihre Waren nicht mehr selbst im Land vertreiben müssen, werden sie mehr Zeit für ihre eigentliche Arbeit haben und mehr als bisher schaffen können. Ihr Gewinn wird also größer sein. Das ist das eine, aber das ist nicht alles, denn sonst könnten wir genausogut mit den Leuten aus dem Westen ins Geschäft kommen. Ich meine aber, daß wir besser dran sind, wenn wir uns mit Arnis Leuten einigen. Indem wir ihr neues Gemeinwesen stärken, werden sie wie ein Bollwerk zwischen uns und den Beutereitern stehen, und nach allem, was man von ihnen hört, werden sie die letzten sein, die dem Raubgesindel den Weg zu uns ins Tal zeigen. Ich stimme für Arnis Leute!«
Als er das gesagt hatte, nahmen alle diesen Ruf auf und schrien: »Wir stimmen für Arnis Leute!« Promezzo hörte sich das an, und Lauscher hatte den Eindruck, daß dem Erzmeister diese Entwicklung nicht ungelegen kam. Nach einer Weile hob er die Hand, um die Männer zum Schweigen zu bringen, und sagte dann: »Das ist ein Vorschlag, den ich selbst schon in Erwägung gezogen habe. Wenn dies also eure Meinung ist, dann will ich einen Boten zu Arnis Leuten schicken und ihre Händler einladen, zu uns nach Arziak zu kommen.«
Seine letzten Worte gingen schon im Beifallsgebrüll der Versammlung unter. Die Leute schlugen sich gegenseitig auf die Schultern, und manche umarmten einander gar, als sei ihnen eine große Sehnsucht in Erfüllung gegangen.
Lauscher sah sich das an und fragte sich, ob dies das Werk seiner Flöte sei. »Freust du dich nicht?« fragte ihn Arnilukka. Er schaute ihr ins Gesicht, in diese Augen von schwer zu beschreibender Farbe, die ihn forschend anblickten. Warum fragte sie das? Meinte sie damit nur, daß keiner sich ausschließen solle, wenn alle in einen solchen Freudentaumel gerieten, oder ahnte sie mit der Intuition eines Kindes, daß er etwas mit dieser Begeisterung für Arnis Leute zu tun hatte, die über die Männer der Talschaft gekommen war wie eine schlagartig ausbrechende Seuche? Er zuckte mit den Schultern und schaute dann wieder hinunter in die tobende Menge, und je länger er diesem Treiben zusah, desto unheimlicher wurde ihm zumute.
Mit diesem jähen Ausbruch von Begeisterung fand die Versammlung ihr Ende. Nach einiger Zeit verliefen sich die Leute, und Lauscher ging mit Arnilukka hinunter in die Stube. Sie trafen dort den Erzmeister an, der seine Amtskette noch nicht abgelegt hatte und im Stehen einen Becher Wein trank. »Das viele Reden hat mir die Kehle ausgetrocknet«, sagte er und lud Lauscher ein, einen Schluck mit ihm zu trinken. Lauscher nahm die Gelegenheit wahr, um sich für die Überraschung zu bedanken, die er am Morgen vorgefunden hatte. Promezzo winkte ab, als sei dies nicht der Rede wert, und sagte, er hoffe, daß ihm diese Verschönerung seines Instruments Freude gemacht habe. Dann setzten sich beide an den Tisch, und auch Arnilukka blieb bei ihnen.
Lauscher hatte inzwischen darüber nachgedacht, was der Bote, von dem Promezzo gesprochen hatte, bei Arnis Leuten über den ›Träger des Steins‹ erfahren würde, der so vortrefflich Flöte spielen könne. Bisher ahnte niemand in Arziak, daß er selbst im Auftrag Hönis ins Tal geritten war, und es wäre wohl besser, wenn dies auch keiner erfahren würde, ehe der Handel in Gang gekommen war. Ihm war auch schon eingefallen, wie man dem zuvorkommen könne. »Ich will dir einen Vorschlag machen, Promezzo«, sagte er. »Du hast vorhin
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