Stein und Flöte
Mann. »Ich habe heute die Nachtwache bei den Tieren. Der Khan geht früh schlafen.«
»Ich werde kommen, wenn ich bis dahin noch ein freier Mann bin«, sagte Lauscher.
Da lachte der Alte lautlos und sagte: »Du wirst kommen, Flöter oder Träger des Steins oder wie immer man dich nennen mag. Du solltest nicht vergessen, wer seine Hand über dich hält!«
Gegen Mittag kehrte Lauscher in sein Zelt zurück. Er kramte die beiden Schachfiguren aus seinem Gepäck, versteckte sie in den weiten Ärmeln seines Hemdes, die weiße rechts und die grüne links, und überzeugte sich, daß sie nicht von selbst herausfallen konnten. Dann machte er sich auf, um sich seinem Gegner zu stellen.
Die Sklavin hatte recht behalten: Draußen war es inzwischen ziemlich heiß geworden. Die Sonne stand hoch am stahlblauen Himmel, und über dem Steppengras flimmerte die Luft. Lauscher ging hinüber zum Zelt des Khans und trat ein. Hunli saß auf seinem Thronkissen, umgeben von seinen drei Söhnen, und auch die Ältesten hatten schon ihre Plätze rings an der Zeltwand eingenommen. Nur dem Khan gegenüber war noch ein Kissen frei, und zwischen diesem und dem Khan stand auch schon das Schachbrett mit den Figuren bereit.
»Du wolltest wohl dein Leben als freier Mann bis zum letzten Augenblick genießen?« sagte der Khan. »Wie ich höre, hast du dich ja schon bei den Schlammbeißern umgesehen, mit denen du künftig unter einem Dach wohnen wirst. Aber das wird dich wohl nicht weiter stören, denn auch Arni war Gastfreund in ihren Häusern.«
Lauscher hatte sich vorgenommen, dem Khan in nichts nachzugeben. Er schaute ihm ins Gesicht und sagte: »Ich habe nichts gegen diese Leute. Aber du solltest ein Spiel nicht für gewonnen erachten, das noch nicht begonnen hat.«
Diesen Ton war der Khan wohl nicht gewöhnt. Er runzelte die Stirn und sagte: »Dann setz dich endlich auf deinen Platz, damit wir anfangen können!«
Lauscher ließ sich auf dem Kissen nieder und sagte: »Mein Einsatz in diesem Spiel ist also meine Freiheit, Khan Hunli?«
»Das weißt du doch«, sagte Hunli. »Hast du jetzt etwa Angst, sie zu verlieren?«
»Durchaus nicht«, sagte Lauscher. »Aber ich habe noch nicht gehört, was du in diesem Spiel einzusetzen gedenkst.«
So viel Naivität brachte Hunli zum Lachen. »Darüber solltest du dir keine Gedanken machen«, sagte er. »Du wirst doch wohl nicht annehmen, daß du hier etwas gewinnst. Aber du sollst nicht sagen dürfen, daß ich nicht gerecht verfahren wäre. Da ich deinen Einsatz bestimmt habe, erlaube ich dir, meinen zu bestimmen. Nenne, was du willst, und es soll dein sein, soweit du mich schlägst, wenn ich mir auch wenig Sorgen mache, daß dies geschehen könnte.«
»Dann sollst du um den Einsatz dieses Teppichs spielen, der über deinem Sitz hängt«, sagte Lauscher.
Als die Ältesten das hörten, sprangen einige von ihnen empört auf und protestierten laut, und auch der Khan wollte zunächst zornig hochfahren, doch dann besann er sich und sagte mit gezwungenem Lächeln: »Jeder weiß, was mir dieser Teppich bedeutet. Also wird es mir um so mehr Ehre einbringen, daß ich ihn aufs Spiel setze. Da er dir so gut gefällt, sollst du von Zeit zu Zeit den Befehl erhalten, ihn abzubürsten, wenn er staubig geworden ist.« Dann forderte er einen der Ältesten auf, die Farben auszulosen.
Der grauhaarige Beutereiter nahm einen weißen und einen grünen Bauern vom Spielbrett, verbarg die Hände für einen Augenblick hinter dem Rücken und hielt dann dem Khan die geschlossenen Fäuste vor. Hunli schlug auf die linke und zog die grüne Farbe. Lauscher nahm es als ein gutes Vorzeichen, daß ihm die weiße Farbe und damit der erste Zug zugefallen war. Als er sah, daß die weißen Figuren auf der Seite des Khans standen, faßte er das Brett mit beiden Händen und drehte es so ungeschickt um, daß die weißen Figuren umstürzten und auf den Boden fielen. Während er sich niederbeugte, um sie aufzusammeln, zog er Arnis weiße Dame aus seinem rechten Ärmel und versteckte statt ihrer das Gegenstück aus Hunlis Spiel. Erst dann hob er auch die anderen Figuren vom Teppich auf und stellte sie wieder an ihren Platz. Der Khan lachte laut über dieses Mißgeschick. »Deine Figuren fallen schon, ehe ich sie schlagen kann«, sagte er. »Willst du nicht gleich aufgeben?«
»Besser, sie fallen jetzt als nachher«, sagte Lauscher gleichmütig und machte den ersten Zug. Erst als er den Bauern, den er gegen Hunlis Streitmacht vorgerückt
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