Stein und Flöte
brauche dir wohl nicht mehr zu sagen, Höni, daß ich Narzia zur Frau gewinnen will. Als ich zu euch kam, hatte ich kaum Verdienste um Arnis Leute aufzuweisen, aber diesen Mangel habe ich wohl inzwischen ein wenig ausgeglichen.« Wieder schaute er Höni ins Gesicht. Nun mußte dieser Mann doch sein Einverständnis zu einer Heirat erklären! Was wollte er denn noch? Erfolgreicher hätte man seine Aufträge schwerlich ausführen können, als er selbst es getan hatte. Lauschers Hochstimmung begann unter dem Einfluß aufsteigenden Ärgers abzuflauen. Seinen Mut durften Höni und dieses Falkenmädchen jetzt wohl nicht mehr bezweifeln, seit er ins Lager der Beutereiter geritten war und mit dem Khan um seine Freiheit gespielt hatte. Erwartete man noch mehr von ihm? Oder galt es schon wieder irgendwelche feierlichen Formalitäten zu erfüllen, die diesen Leuten so am Herzen lagen?
Höni schien diese Gedanken an Lauschers Gesicht ablesen zu können, denn er sagte: »Du darfst mich nicht falsch verstehen, Träger des Steins. Du hast dich in allem, was du bisher getan hast, des Mannes würdig erwiesen, der dir seinen Stein übergeben hat. Es gibt aber einen alten Brauch in unserem Volk, den wir auch nach der Großen Scheidung bewahren wollen, da er uns sinnvoll erscheint: Ein Bewerber, der die Tochter eines Mannes von einigem Ansehen gewinnen will, sollte drei bemerkenswerte Taten verrichten, um zu beweisen, daß er seiner Frau und ihrer Familie keine Schande machen wird.«
»Fürchtest du, daß ich Narzia und dir Schande machen könnte?« fragte Lauscher aufgebracht.
Höni versuchte Lauschers aufsteigenden Zorn mit einer begütigenden Handbewegung zu besänftigen und sagte: »Natürlich nicht. Ich weiß, was du für Arnis Leute bereits getan hast. Aber mit einem guten Brauch sollte man auch dann nicht brechen, wenn seine Einhaltung in einem besonderen Fall unnötig erscheint. Jedermann würde sich später darauf berufen können und das gleiche Recht verlangen. Zudem würde es dir noch größere Ehre eintragen, wenn du dich diesem Brauch unterwirfst und noch einen dritten Ritt unternimmst.«
Lauscher hätte am liebsten gesagt, daß er auf eine solche Ehre pfeife. Aber er fand keine Argumente gegen die Logik von Hönis Überlegungen, und so sah er sein Ziel, das er noch eben in greifbarer Nähe vor sich zu haben gemeint hatte, unversehens wieder in unerreichbare Ferne rücken. »Wohin soll ich also diesmal reiten?« fragte er erbittert.
»Zu den Falkenleuten«, sagte Höni. »Wir haben damals nach der Großen Scheidung unsere kleinen Steppenpferde mitgebracht und uns weiterhin ihrer bedient. Mit Jungtieren aus dieser Zucht haben wir zwar den Khan befriedigen können, aber an andere Leute lassen sie sich nicht verkaufen. Aus diesem Grund hat der Rat der Ältesten beschlossen, edlere Zuchttiere zu beschaffen, und ich kenne keine besseren als jene leichtfüßigen Pferde, die von den Falkenleuten gehalten werden. Allerdings gibt es da eine Schwierigkeit: Die Falkenleute haben bisher jedem Fremden den Ankauf auch nur eines ihrer Zuchthengste verweigert. Der Rat meint jedoch, daß es dir schon gelingen würde, sie auf die eine oder andere Art dazu zu bringen, mit uns eine Ausnahme zu machen.«
Was mit der ›einen oder anderen Art‹ gemeint war, konnte sich Lauscher gut vorstellen. Man wollte sich wohl wieder einmal die Kraft seiner Flöte zunutze machen und wohl obendrein noch erfahren, ob sich auf solche Weise auch der mächtige Großmagier überreden ließ. Das alles war offenbar bereits beschlossene Sache, und ihm blieb keine Wahl, wenn er seine Stellung bei Arnis Leuten behaupten und Hönis Tochter gewinnen wollte. »Wann soll ich reiten?« fragte er resigniert.
»Möglichst bald«, sagte Höni heiter. »Wenn du zu lange wartest, könntest du auf dem Rückweg vom Einbruch des Winters überrascht werden, und dabei würde womöglich ein so kostbares Zuchtpferd zu Schaden kommen. Ruhe dich eine Woche lang aus. Wenn du dann aufbrichst, wird sich bei deiner Rückkehr gerade das Laub zu färben beginnen.«
Es war offenkundig, daß Höni all diese Einzelheiten zuvor schon mit Narzia besprochen hatte, ja, Lauscher konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß Hönis Vorschläge in der Hauptsache von ihr gekommen waren. In Anbetracht ihrer Vorliebe für alles, was mit den Falkenleuten zusammenhing, war dies nur allzu wahrscheinlich. Daß er selbst diesmal viele Wochen lang unterwegs sein würde, schien ihr wenig auszumachen. Ihr
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