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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Da schlugen fischähnliche Wesen mit kalt glotzenden Augen ihr nadelspitzes Gebiß in die schuppige Haut echsenhafter Scheusale, andere trieben auf krallenbewehrten, häutigen Flügeln heran und fuhren mit geifernden Rachen aufeinander los, zottige Ungeheuer verkeilten ihre gehörnten Schädel ineinander, bis die Halswirbel krachten und die blutunterlaufenen Augen aus den Höhlen traten, riesige Schlangen verknäulten ihre streifigen Leiber in erstickender Umschlingung, und Lauscher packte mitten hinein in diese durcheinandergleitende, glitschige Masse, krallte seine Nägel in zuckendes Fleisch, verbiß sich in schlenkernde Gliedmaßen und fraß sich einen Weg durch das grausige Getümmel, tötete, um zu überleben, schlug um sich, spürte zersplitternde Knochen und erschlaffende Muskeln, trat und stieß, bis er sich endlich einen freien Raum geschaffen hatte. Rings im Wesenlosen schwebten zerfetzte Körperteile, kopflose Rümpfe und rumpflose Köpfe, trieben in sausendem Sturz auseinander und verloren sich in der Leere des Lichtlosen, dessen horizontlose Unendlichkeit dennoch spürbar blieb. Während er allein weiterstürzte in die Abgründe der Unendlichkeit, als Sieger entlassen aus dem Gemetzel unbenennbarer Wesen, wurde ihm bewußt, daß der Preis des Sieges die absolute Einsamkeit war. Um zu überleben, hatte er alles zerstört, was sich rings um ihn regte, und nun trieb er wie ein Staubkorn ins Nichts hinab und würde ewig so weitertreiben.

    Dieses Bewußtsein der Verlorenheit und des unaufhaltsamen Sturzes beherrschte ihn noch, als er im Morgengrauen aufwachte. Im fahlen Dämmerlicht kam ihm alles unwirklich vor, die Gegenstände der Stube schienen aus allzu dünnem Stoff zu bestehen, als daß man sie hätte greifen können. Er fühlte sich außerstande, irgendeinem Menschen gegenüberzutreten, der womöglich schon wieder Forderungen an ihn stellte, und hatte nur den einen Wunsch, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen, wo ihn keiner behelligte. Leise stand er auf, zog sich taumelnd an wie nach einer durchzechten Nacht und schlich aus dem Haus.
    Die Gebäude kauerten im grauen Morgendunst rings um Arnis Hütte, leer und ausgestorben, und nach Osten hin, wo der Himmel sich schon aufgehellt hatte, verlor sich der Blick in der unbegrenzten Ferne der Steppe, aus deren verschwimmender Weite schon wieder die Angst aufstieg und ihn vor sich her jagte auf die schützenden Wälder zu, die nördlich des Dorfes dunkel über die Dächer emporstiegen. Er rannte so lange in keuchendem Lauf, bis er sich unter dem Dach herabhängender Zweige und rauschender Wipfel geborgen fühlte, zwischen ragenden Stämmen und dichtem Unterholz, das den Blick hinaus ins Grenzenlose verwehrte. Dann erst ließ er sich ins Moos fallen und lag lange, ohne sich zu bewegen, spürte nicht die Ameisen, die über seine Hände hasteten, hörte nicht die Stimmen der Vögel, die den aufsteigenden Morgen mit ihrem Gesang begrüßten, sah nicht das Gegaukel der Schmetterlinge über dem Waldgras, kroch in sich hinein, wühlte sich ins bitter riechende Vorjahrslaub wie ein sterbendes Tier und klammerte sich an die Erde, als könne dieser einzige feste Halt plötzlich unter ihm weggezogen werden.
    Er wußte nicht, wie lange er so gelegen hatte, als ihn etwas an den Kleidern zupfte. Er hob den Kopf und sah über sich einen gewaltigen Ziegenbock stehen, der sein Hemd wohl für etwas Eßbares gehalten hatte und nun erschrocken zurücksprang und ihn mit seinen gelben Augen betrachtete. Als Lauscher jedoch keine Anstalten machte, ihn anzugreifen oder auch nur aufzustehen, verlor der Bock das Interesse an ihm, schüttelte sein kräftiges Gehörn und beugte den Kopf zum Boden, um sich ein paar Kräuter auszurupfen. Erst jetzt sah Lauscher, daß der Bock nicht allein war. Ihm folgte eine Herde von etwa einem Dutzend Ziegen, Muttertiere mit tief herabhängendem, bei jedem Schritt hin und her pendelndem Euter und auch ein paar Jungtiere, denen eben erst die Hörner auf der Stirn sprossen. Nachdem der Leitbock nichts Gefährliches an der liegenden Gestalt gefunden hatte, zogen die Tiere unbekümmert an Lauscher vorüber, naschten hie und da an einem Büschel Gras oder am Laub niedriger Zweige, auch wenn sie dazu über Lauscher hinwegsteigen mußten.
    Als letztes zottelte ein mageres Zicklein der Herde nach. Es blieb neben Lauscher stehen, blies ihm seinen warmen Atem ins Ohr und begann an seinem Ohrläppchen zu knabbern. Als er es wegzuschieben versuchte, erwischte

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