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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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von Blörri geweckt wurde, war es draußen noch dunkel. Erst als er vors Zelt trat, sah er, daß im Osten der Himmel sich schon aufhellte. Draußen standen die Pferde bereit. Lauscher schnallte die Teppichrolle an seinen Sattel und stieg auf. Das Lager war wie ausgestorben. Zu ihrem Empfang waren alle Leute auf den Beinen gewesen, aber jetzt zeigte sich kein Mensch. »Mir ist das unheimlich«, sagte Blörri. »Gäste läßt man hier sonst nicht ohne Abschied davonreiten. Ich habe heute niemanden gesehen als den alten Pferdesklaven und eine Magd von den Karpfenköpfen, die mir ein Bündel Vorräte für unsere Reise gebracht hat, Flachbrot und Dörrfleisch. Mir scheint, bei diesen Sklaven hast du mehr Freunde gewonnen als bei den Beutereitern.«
    »Du solltest eigentlich wissen, daß Arni Gastfreund bei ihren Leuten am Braunen Fluß war«, sagte Lauscher. »Reite los! Ich will hier keinen Augenblick länger bleiben.«
    Nach drei Tagen war Lauscher einigermaßen sicher, daß sie nicht verfolgt wurden. Blörri, der bemerkt hatte, wie Lauscher sich immer wieder umblickte, sagte einmal: »Fürchtest du, daß Khan Hunli dir deinen rechtmäßigen Spielgewinn wieder abjagen will? Er würde sein Gesicht verlieren, und kein Mensch würde sich mehr mit ihm ans Spielbrett setzen. Er muß dich unbehelligt bis nach Hause reiten lassen. Später würde ich mich an deiner Stelle allerdings hüten, ihm über den Weg zu laufen.«
    Lauscher hoffte, daß Hunli sich an diesen Brauch hielt, aber er erinnerte sich noch zu deutlich an den Wutausbruch des Khans, als daß er sich gänzlich auf Blörris Versicherung verlassen hätte. Er würde sich erst dann wieder sicher fühlen, wenn die Steppe hinter ihm lag.
    An diesem dritten Tag war die Hitze wieder fast unerträglich. Besonders die Pferde litten darunter, zumal sie seit dem Morgen nichts zu trinken bekommen hatten. »Wir müssen noch die nächste Wasserstelle erreichen, und wenn wir bis in die Nacht hinein reiten«, sagte Blörri und spähte mit zusammengekniffenen Augen zum flimmernden Horizont. Die Pferde waren kaum noch zum Traben zu bringen und schleppten sich über das dürre, raschelnde Gras. Erst als die Sonne schon tief im Westen stand, entdeckte Blörri am Horizont eine kaum wahrnehmbare Senke, die wohl nur deshalb sichtbar wurde, weil die blutrote Scheibe genau an dieser Stelle in den Dunst hinabsank. »Dort liegt die Wasserstelle«, sagte Blörri. »Aber bis wir sie erreichen, wird es längst dunkel sein.«
    Sie ritten weiter auf das rotviolette Glühen zu, das noch lange, nachdem die Sonne untergegangen war, vor ihnen am unteren Rand des Himmels allmählich an Leuchtkraft verlor, bis schließlich auch der letzte schwache Schimmer von Sternen durchlöchert wurde und in der Schwärze der Nacht verging. Lauscher ließ sein Pferd hinter dem Vorreiter dahintrotten und hoffte, daß Blörri schon nicht vom Weg abkommen würde; die anderen Männer ritten hinter ihm. Nichts war zu hören als das ziehende Rascheln der Hufe im Steppengras, und dann war plötzlich auch dieses Geräusch verstummt. Lauscher hob den Kopf und spürte mehr, als er sehen konnte, daß einer der Reiter zu ihm aufgeschlossen hatte und jetzt neben ihm ritt, lautlos und kaum zu erkennen, ein Schatten, der die Sterne verdeckte, eine hagere, gebeugt auf dem Rücken des Pferdes hängende Gestalt, deren Gesicht trotz der Dunkelheit nach und nach von einem fahlen Licht erhellt wurde, ein faltiges, scharf geschnittenes Gesicht, an dessen Schläfen ausgebleichte Zöpfe baumelten.
    »Bist du nun stolz auf deine Taten in Hunlis Lager?« fragte Arni. Diese Frage klang so, als gebe es wenig Grund, auf irgend etwas stolz zu sein. Lauscher überkam unversehens ein kalter Zorn auf diesen alten Mann, der es immer wieder darauf anlegte, ihm sein mühsam gewonnenes Stück Sicherheit zu nehmen. »Ich habe getan, was ich mir vorgenommen hatte«, sagte er. »Und sogar noch etwas mehr. Es mag sein, daß du mir dabei geholfen hast, aber diesmal habe ich mich schon vorher deines Beistandes versichert.«
    Er schaute dem schattenhaften Reiter widerborstig ins Gesicht, und da sah er, daß Arni den Kopf zurücklegte und wieder in dieses lautlose Lachen ausbrach. »Was bist du doch für ein Esel!« sagte Arni. »Glaubst du wirklich, dieses Falkenmädchen könne mich mit ihrem bißchen Hokuspokus zu etwas zwingen? Wenn ich dir nicht hätte helfen wollen, lägst du jetzt in einer der Sklavenhütten meines Bruders. Nahe genug warst du ja

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