Stein und Flöte
es seinen kleinen Finger und nuckelte daran wie an einer Zitze. »Geh zu deiner Mutter!« sagte Lauscher. »Bei mir ist nichts zu holen«, aber das Zicklein ließ sich nicht verscheuchen. Vielleicht hatte es Geschmack gefunden an dem salzigen Schweiß auf seiner Haut, es blieb jedenfalls bei ihm und probierte weiter, ob dieser Finger nicht doch noch Milch geben würde.
Lauscher war gerührt von solch ungehemmtem Vertrauen, obgleich er sich sagte, daß dieses Tier wohl nur dem Trieb folgte, an jedem warmen, weichen Zipfel zu saugen, der ihm ins Maul geriet; aber es sah zumindest so aus wie Vertrauen, und zwar eines von jener Art, das sich nicht entmutigen läßt. Er kraulte das Zicklein im Stirnhaar, strich mit der Hand über das dunkelbraune Fell und spürte nach dem Sturz in die eisige Leere zum ersten Mal wieder die wärmende Nähe eines lebendigen Wesens.
Die Herde war mittlerweile weitergezogen. Weiter oben am Hang konnte Lauscher die Ziegen hie und da zwischen Stämmen und Unterholz auftauchen sehen. »Eine Rabenmutter hast du«, sagte er zu dem Zicklein. »Komm, wir gehen sie suchen!« Er nahm das Tier auf seine Arme und begann den Hang hinaufzusteigen. Dabei geriet diesmal zwar seine Nase in Gefahr, als Euterersatz mißbraucht zu werden, aber nach wenigen Schritten hatte er die Herde erreicht und setzte seinen Schützling ab. Dabei hatte er allerdings nicht mit dem Bock gerechnet, dem es gar nicht gefiel, daß dieser Fremdling sich an einem seiner Jungtiere vergriff. Er scharrte mit seinen gespaltenen Hufen im Moos, senkte sein Gehörn und preschte los, um diesen Gegner in den Boden zu rammen. Lauscher konnte eben noch zur Seite springen, ehe der Bock dicht neben ihm krachend gegen einen Baumstamm rannte. Einen zweiten Angriff, zu dem der Bock durchaus bereit zu sein schien, wartete er gar nicht erst ab, sondern sprang in weiten Sätzen den Hang hinunter.
Erst am Waldrand machte er Halt. Er lehnte sich an einen Stamm, um wieder zu Atem zu kommen, und mit einemmal kam ihm das Ganze so komisch vor, daß er anfing zu lachen. Er lachte über dieses sonderbare Zicklein, für das die Welt nur aus milchspendenden Zitzen zu bestehen schien, er lachte über diesen Bock, der wegen nichts und wieder nichts in blinde Wut geriet, und über all dem Gelächter vergaß er, was ihn eigentlich in diesen Wald getrieben hatte. Statt dessen verspürte er Hunger, denn er war ja ohne Frühstück aus dem Haus gelaufen, und die Sonne stand inzwischen schon zwei Handbreit über dem Horizont. Am Waldrand entlang machte er sich auf den Heimweg und trat eben in die Stube, als seine Gastgeber von ihrer Morgenmahlzeit aufstehen wollten.
»Du scheinst heute früh aus den Federn gekommen zu sein«, sagte Höni. »Wo bist du gewesen?«
»Ich bin ein bißchen im Wald spazieren gegangen und habe mich mit den Ziegen unterhalten«, sagte Lauscher.
»Und was hast du dabei erfahren?« fragte Höni.
»Daß Böcke rasch zornig werden«, sagte Lauscher. »Ich bin ziemlich schnell gerannt.«
Höni lachte. »Ich hoffe, das hat dir Appetit gemacht«, sagte er. »Du mußt mich jetzt entschuldigen. Ich habe zu tun. Narzia wird dir wohl Gesellschaft leisten.«
Als Lauscher satt war, sagte Narzia: »Ich beneide dich um den Ritt zu den Falkenleuten.« Lauscher fand daran nicht so viel Beneidenswertes, aber das verriet er ihr lieber nicht. Statt dessen sagte er: »Dann komm doch mit!«
Der Blick, mit dem sie ihn nach dieser Aufforderung anschaute, ließ sein Herz schneller schlagen, obwohl er sich nicht deuten konnte, ob aus ihren grünen Augen Verheißung oder Abwehr sprach.
»Du weißt, daß dies nicht möglich ist«, sagte sie. »Außerdem wirst du diesmal allein reiten. Fürs erste wird es genügen, wenn du einen Deckhengst aus der Zucht von Falkenor bringst. Wir wollen versuchen, ihn mit deiner Stute zusammenzubringen, denn sie scheint von edlem Blut zu sein.«
Lauscher ärgerte sich ein bißchen, daß hier schon wieder über sein Eigentum verfügt wurde, aber schließlich dachte er, daß er nur stolz darauf sein könne, wenn man so große Stücke auf sein Pferd hielt.
»Allerdings wirst du Schneefuß diesmal bei uns im Stall lassen müssen«, fuhr Narzia fort.
Jetzt wurde es Lauscher zu viel. »Das geht nicht«, protestierte er. »Wir sind seit langem aneinander gewöhnt, und auf einem solchen Ritt brauche ich ein Pferd, auf das ich mich verlassen kann.«
»Ich fürchte, das würde ein ziemlich unruhiger Ritt werden auf deiner Stute mit
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