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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Stolz ließ es wohl nicht zu, einen Bewerber anzunehmen, der nicht die üblichen drei Heldentaten aufzuweisen hatte. Vermutlich sollte er jetzt stolz darauf sein, daß dergleichen von ihm erwartet wurde, aber er war nur erschöpft. Er hatte einen langen Ritt hinter sich, hatte Angst gehabt und auch ein bißchen Glück, und jetzt wünschte er sich nichts anderes, als dieses grünäugige Mädchen in die Arme zu nehmen und sich von ihm festhalten zu lassen. Aber da lag noch ein langer Weg dazwischen. »Ich bin müde«, sagte er und wünschte den beiden eine gute Nacht.
    Seine Enttäuschung ließ ihn nicht einschlafen. Er sah sich immer wieder über eine endlose Ebene reiten, in der man jedes Ziel aus den Augen verlor. Wieder überfiel ihn die Angst, die ihn nie ganz verlassen hatte, solange er dem unbegrenzten Horizont schutzlos preisgegeben war, und diese Angst wuchs und wuchs und füllte seine Gedanken aus bis an den Rand. Schließlich blieb ihm kein Ausweg als die Flucht in einen Traumbereich, dessen er sich nur noch vage erinnerte als einer Welt voller Farben und Düfte, voller Lockung und Erfüllung, voller Geborgenheit im Schutz umgrünter Gehege. Er griff nach dem Krüglein, das solche Träume verhieß, ließ wieder einen Tropfen des zauberischen Gebräus auf seine Hand fallen und leckte ihn ab. Doch der Geschmack der zähen Flüssigkeit erschien ihm fade, und der Durchbruch in die andere Welt wollte nicht gelingen. Vielleicht war die Menge zu gering gewesen, um die ersehnte Wirkung hervorzubringen. Noch einmal ließ er den braunen Saft auf seinen Handteller tropfen, und diesmal warf es ihn sofort zurück auf sein Bett, sobald seine Zunge den bittersüßen Geschmack aufnahm, und im nächsten Augenblick begann schon

Der schwarze Traum
    Er stürzte von oben her hinab auf den weit ausgebreiteten Garten, überschaute für einen Augenblick das grüne Gelände mit seinen Rasenflächen, Bäumen und Gewässern, den verschlungenen Blumenornamenten und dem Labyrinth dunkler Hecken, zwischen denen weiße Glieder aufschimmerten; er stürzte mitten hinein in einen Wirbel von Farben und Düften, tauchte durch die sprühende Fontäne und spürte, wie alle Süßigkeit dieser Vereinigung, in einen einzigen Herzschlag zusammengepreßt, ihn durchfuhr wie der Schmerz eines Messerstichs, aber sein Sturz war unaufhaltsam und riß ihn weiter hinab in gestaltlose Schwärze. Lange Zeit fühlte er nichts als den sausenden Fall, der ihn immer tiefer hinabsaugte in den bodenlosen Abgrund brüllender Angst, und er hatte noch immer das Gefühl des Stürzens, als er ohne Übergang in einen Bereich fahler Erhellung geriet, deren Ursprung kein Licht sein konnte; denn selbst das Sichtbare erschien hier lichtlos und nur als eine andere Spielart des Schwarzen. Er befand sich in einem schief hängenden, in seiner Gesamtheit nach unten stürzenden Raum, der begrenzt schien, ohne daß man seine Form hätte beschreiben können, und ihm gegenüber saß der Graue. Er wußte, daß er ihn kannte, wenn ihm auch nicht einfallen wollte, wo er ihm schon begegnet war; aber er kannte dieses graue, unbewegte Gesicht, das schräg vor ihm im Raum hing und ohne eine Regung der Lippen zu ihm sprach. »Du hast meine Erwartungen nicht enttäuscht«, sagte der Graue, »und allmählich beginnst du zu begreifen, wie diese Welt funktioniert, wenn du dich auch noch immer nicht ganz von der Vorstellung lösen kannst, dieses Herz, das du in der Brust trägst, sei mehr als eine Pumpe, die das Blut durch deine Adern treibt. Du könntest es noch viel weiter bringen, wenn du solche kindischen Träume endlich vergessen würdest. Spürst du nicht, wie deine Natur dich dazu drängt, Macht über andere zu gewinnen und auszuüben? Diesem Zwang kannst du dich nicht entziehen, und so lange du gegen ihn ankämpfst, wirst du zu den Verlierern gehören. Willst du einer von den vielen sein, mit denen jene wenigen, die den Mechanismus der Welt begriffen haben, nach Belieben verfahren? Fressen oder Gefressenwerden, das ist das einzige, was zählt. Auch du wirst diesen Mechanismus nicht ändern.«
    Der Raum mitsamt dem Grauen kippte zur Seite weg und zerfiel in ständigem Sturz zu einem regellosen Gewimmel von Klauen und Rachen, Krallen gruben sich in aufplatzende hornige Haut, Reißzähne packten zuckende Glieder, und Lauscher wirbelte mit in dieser ungestalteten Masse von Leibern, war nur noch Bestandteil eines ungeheuerlichen Körpers, der sich selbst in blindwütiger Raserei zerfleischte.

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