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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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die Hand und rührte den Vogel an, nur um festzustellen, was er insgeheim schon befürchtet hatte: daß nämlich dieses Tierchen genau so steif und unbeweglich war wie der Kies unter seinen Sohlen. Nicht einmal der Zweig ließ sich bewegen, auf dem es saß, sondern widerstand der Berührung mit gläserner Sprödigkeit.
    Und so zog Lauscher weiter seine Kreise, geräuschlos und schattenlos, und war wohl schon Dutzende Male an dem starren Vogel vorübergegangen, als er einen Durchschlupf in der Hecke bemerkte. Auch dieser Weg, der hier weiterführte, sah nicht anders aus als jener, auf dem er bisher gegangen war, doch nach einer Biegung öffnete er sich unversehens zu jenem Rondell mit der Fontäne und den beiden Figuren.
    Für einen Augenblick stand Lauscher wie gelähmt und spürte das Blut in seinem Herzen zusammenströmen zu einem schmerzhaften Krampf der Erwartung bevorstehender Erfüllung, doch dann wurde ihm die gläserne Starre auch dieses Bildes bewußt. Wohl stieg die Fontäne des Springbrunnens aus der Mitte des Beckens auf, aber jeder einzelne Tropfen hing festgebannt im Raum und würde nie mehr auf die beiden Figuren niederstürzen, die hier standen, eingehüllt in einen Mantel glanzloser Perlen. Die Frauenstatue starrte mit blinden Marmoraugen ins Leere. In der Hoffnung, daß die Berührung seiner Hand sie vielleicht zum Leben wecken könne, trat er nahe heran, doch das Netz der schwebenden Tropfen ließ sich an keiner Stelle beiseite schieben, die glatte, marmorne Haut blieb unerreichbar, unberührbar und tot.
    Der Bocksfüßige auf der anderen Seite hatte das Gesicht des Grauen. Lauscher sträubten sich die Haare, als er dieses unbewegte, ausdruckslose Gesicht wiedererkannte. Ihm graute vor diesem Gesicht, dennoch näherte er sich unter einem unwiderstehlichen Zwang dieser Figur, trat hinter sie, sah dicht vor seinen Augen den gespannten marmornen Nacken, das Gekräusel der steinernen Haare, aber sein Blick schien einzudringen in den kalten Stein, bohrte sich durch die Rundung des Schädels, und dann sah er mit den Augen des Grauens, sah diese in sinnloser Verrenkung erstarrte Frauenfigur, das künstliche Lächeln der steinernen Lippen, die unfähig waren, Worte zu sprechen, und nur vorspiegelten, daß da etwas sei, etwas Lebendes, Denkendes, Liebendes, das in Wahrheit nichts war. Und er blickte durch dieses Nichts, wie durch Glas hinaus in eine endlose Schneise zwischen leblosen Hecken, die immer weiter hinausliefen, bis sie sich in der Unendlichkeit in einem Punkt zusammenzogen und im Nichts verschwanden, und er stürzte hinaus auf diesen Punkt des Nichts zu, stürzte und stürzte, ohne daß etwas näher kam oder sich entfernte, und in diesem bewegungslosen Sturz verharrte er bis zum Morgen.

    Der Morgen war grau und feucht. Über der Bachniederung hingen Nebelschwaden, in denen sich vage die Umrisse einzelner Erlenbüsche und Weiden abzeichneten. Ohne etwas zu sich zu nehmen, stieg Lauscher auf seinen Wallach und ließ ihn weiter am Bach entlang traben. In seinem Hirn drehte noch immer der Schwindel des Sturzes. Erst gegen Mittag begann sich der Dunst aufzulösen, und die Sonne drang durch. Die Landschaft hatte sich bisher wenig geändert; rechts stieg Hügelland an, das sich weiter entfernt zu höheren Bergkuppen aufwölbte, links erstreckte sich noch immer die endlose Weite der Steppe. Erst gegen Abend begann sich das Bild zu verschieben. Jenseits des Baches traten die Berge immer weiter zurück, und dann sah Lauscher zum ersten Male den Oberlauf des Braunen Flusses, der hier aus einem Tal zwischen den Hügeln herausbrach und in weitem Bogen, von lichten Auwäldern gesäumt, nach Süden abschwenkte.
    Ehe der Bach die Flußniederung erreichte, wurde er von einem umgestürzten Pappelstamm aufgestaut, an dem sich allerlei Kleinholz gefangen hatte. In dem Teich, der sich hier gebildet hatte, sah Lauscher Forellen stehen. Da endlich wurde ihm bewußt, daß er den ganzen Tag lang noch nichts gegessen hatte. Er stieg ab, schnitt seinem Wallach ein Haar aus dem Schwanz und knüpfte eine Schlinge, wie er es oft als Junge getan hatte. Dann legte er sich bäuchlings ins Gras und versuchte, die Schlinge einer Forelle, die dicht am Ufer stand, von hinten vorsichtig überzustreifen, bis er sie hinter den Kiemen mit einem Ruck zuziehen konnte.
    Die Spannung der Jagd ließ ihn alle Umstände vergessen, die ihn an diesen Ort gebracht hatten; er war wieder ein kleiner Junge, der seine erste Forelle zu fischen

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