Stein und Flöte
vor deinem Herrn?« sagte Lauscher spöttisch. »Wenn du nicht freiwillig mit mir gehen willst, dann werde ich dich dazu zwingen.« Er griff wieder nach seiner Flöte und machte Anstalten, sie an die Lippen zu setzen. Der Hirte wurde kreidebleich und streckte die Hand in einer zauberabwehrenden Geste vor. »Ich bin in deiner Hand, Herr«, sagte er zitternd. »Laß um alles in der Welt deine Flöte schweigen. Lieber will ich vor das Angesicht des Großmagiers treten und meine Strafe erwarten. Erlaube mir nur, daß ich mein Reitpferd hole.«
»Dann bring mir gleich ein Halfter für den Hengst mit!« sagte Lauscher.
Wenig später ritten beide auf Falkenor zu. Der Hengst ließ sich brav wie ein Lamm von Lauscher am Halfter führen, und so trabten sie schließlich ungehindert durch das äußere Stadttor und die schnurgerade Straße entlang auf das turmhohe Haus des Großmagiers zu. Erst an dem Tor in der inneren Mauer wurden sie aufgehalten. Der Hirte sprach ein paar Worte mit dem Wächter, der daraufhin das Tor öffnete und ihnen bedeutete, daß sie absteigen und ihre Pferde in den Hof führen sollten. Dort trat der Hauptmann der Wache auf sie zu und stellte auf falkenorisch eine Frage. Der Hirte verbeugte sich vor ihm und setzte zu einer längeren, gestenreichen Erklärung an, wobei er abwechselnd auf Lauscher und auf den Rappen wies. Der Hauptmann hörte ihm kopfschüttelnd zu, unterbrach ihn nach einer Weile mit einer schroffen Handbewegung und fragte Lauscher in der Sprache der Beutereiter, wer er sei und wie er heiße. »Ich bin ein Flöter«, sagte Lauscher und nannte seinen Namen.
»Dieser Hirte behauptet, du hättest den Zuchthengst, dem sich bisher nicht einmal die Pferdeknechte zu nähern wagten, im Handumdrehen gezähmt und zugeritten, und zwar nur durch die Zauberkraft deiner Flöte«, sagte der Hauptmann. »Stimmt das?«
»Das ist richtig«, sagte Lauscher. »Hat er dir auch gesagt, daß er mir versprochen hat, ich könne den Hengst behalten, wenn mir das gelingt?«
Das Gesicht des Hauptmanns lief rot an vor Zorn, als er das hörte. Er schrie auf den Hirten ein, und als dieser den Sachverhalt bestätigte, sagte der Hauptmann zu Lauscher: »Das ist eine Sache, die über meine Befugnisse geht. Ich werde euch einem der Hofbeamten übergeben.« Er winkte ein paar Wächter herbei und befahl ihnen, die drei Pferde zu den Stallungen zu bringen. Morgenstern begann unruhig zu tänzeln, als einer der Wächter sich ihm vorsichtig näherte, und bäumte sich auf, sobald der Mann nach seinem Halfter greifen wollte, doch Lauscher gelang es sogleich, das Pferd wieder zu besänftigen, und als er ihm ein paar Worte ins Ohr geflüstert hatte, folgte es gehorsam dem Wächter.
Der Hauptmann führte Lauscher und den Hirten in das Haus des Großmagiers und gab einem der Diener, die in der Eingangshalle warteten, einen Auftrag, worauf dieser eilig eine Treppe hinauflief und gleich darauf mit einem in ein fußlanges weißes Seidengewand gekleideten Hofbeamten zurückkehrte, einem dürren alten Mann, dessen blasse, pergamentene Gesichtshaut sich straff über die kantig hervorspringenden Backenknochen spannte. Der Hauptmann verbeugte sich vor dem Würdenträger und erstattete ihm in knappen Worten Bericht. Der Beamte lauschte ihm zunächst unbewegten Gesichts wie einer, der es gewohnt ist, mit Nichtigkeiten belästigt zu werden, doch auch er zog schließlich erstaunt die Augenbrauen hoch und schüttelte befremdet den Kopf.
»Wie ich höre«, sagte er zu Lauscher, »hast du diesem einfältigen Hirten den besten Zuchthengst des Großmagiers abgeschwatzt. Du wirst doch wohl nicht die Dreistigkeit besitzen, diese Forderung aufrechtzuerhalten.«
Lauscher ließ sich durch diesen herablassenden Ton nicht aus der Fassung bringen. »Ich halte es nicht für dreist«, sagte er, »auf der Einhaltung einer Zusage zu bestehen, die man mir gemacht hat. Auch habe ich diesen Mann nicht beschwatzt, sondern ihm klar und deutlich gesagt, was ich will. Ist es meine Schuld, daß er mich für einen Prahlhans gehalten hat?«
»Ich kann mir vorstellen, daß du damit gerechnet hast«, sagte der Beamte kühl. »Jedenfalls hatte der Hirte genauso wenig das Recht, dir dieses Pferd zu schenken, wie ich es habe, und ich weigere mich entschieden, den Großmagier nur wegen einer solch lächerlichen Angelegenheit zu behelligen.«
Lauscher hatte bemerkt, daß in die Augen dieses sonst scheinbar so überlegenen Mannes eine gewisse Beunruhigung trat, als er wie
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