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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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schüttelte lächelnd den Kopf. »Das hast du nicht«, sagte er, »denn du bist weder unfähig noch bösen Willens. Man erfährt sogar ziemlich viel über dich, wenn man hört, wie du deinen Willen durchzusetzen versuchst. Ich würde dich gern ein wenig in meiner Kunst unterweisen, aber dazu haben wir jetzt keine Zeit. Der Großmagier wartet auf dich. Der Hüter der Falken wird dich zu ihm bringen.«
    Als auch dieser höchste Würdenträger nach dem Großmagier ihn mit großer Freundlichkeit begrüßte, begann Lauscher es nachgerade komisch zu finden, wie er hier in Falkenor vom einen zum anderen weitergereicht wurde, vom Torwächter zum Hauptmann, vom Hauptmann zum Hofbeamten, von diesem zum Meister der Töne, der ihn nun dem Hüter der Falken übergab, damit dieser ihn zum Großmagier geleitete. Es ging immer schön aufwärts auf der Leiter der Hierarchie, und von Stufe zu Stufe wurden diese Leute freundlicher. Wenn dies sich weiterhin auf solche Weise steigern sollte, würde der Herr von Falkenor ihn in die Arme schließen wie einen vertrauten Freund.
    Während er sich das vorzustellen versuchte, merkte er, daß ihm die Knie zitterten. Erst jetzt wurde ihm bewußt, was der Meister der Töne nach seiner Rückkehr gesagt hatte, und er fragte sich, ob dieser liebenswürdige Greis ihn nicht nur auf seine Weise ausgehorcht hatte. ›Man erfährt ziemlich viel über dich‹ – was hatte sein Flötenspiel alles verraten? Es blieb ihm keine Zeit, weiter darüber nachzugrübeln; denn der Hüter der Falken komplimentierte ihn zur Tür hinaus, während der musikalische Kleinmagier ihm noch freundlich nachwinkte. Oder spöttisch? Wer wollte das entscheiden.
    Nun mußte er erst einmal dem rotgewandeten Falkenhüter auf den Fersen bleiben, der rasch durch den düsteren Gang voranschritt. Lauscher folgte ihm über weitläufige Treppen, durch ganze Fluchten von Räumen und wieder über Treppen immer weiter hinauf in diesem hoch aufgetürmten Labyrinth, das hie und da von flackernden Öllampen spärlich beleuchtet war. Der weiche Flor von Teppichen verschluckte das Geräusch der Schritte, manchmal hob sich der bizarre Umriß einer absonderlichen Figur oder eines kaum deutbaren Gerätes aus dem Dunkel, doch Lauscher fand keine Zeit, diese fremdartigen Gegenstände näher zu betrachten, denn das rote Gewand wehte schon wieder weit voran. Der Großmagier schien es sehr eilig zu haben, seinen Gast zu begrüßen.
    Fast schon atemlos stand Lauscher schließlich vor jener Tür, die er schon aus Narzias Erzählung kannte. Das matte Licht der Öllampen erhellte kaum die dunkle, bronzene Fläche; nur der vom Zugriff vieler Hände blankgeriebene Falkenkopf in der Mitte des Gevierts schimmerte im Halbdunkel auf, ehe der Hüter der Falken ihn bewegte und dadurch jenes tiefe, summende Dröhnen hervorrief, das die Luft in Gängen und Räumen zum Schwingen brachte. Dann glitt der Türflügel zurück und gab den Blick in einen weiten Raum frei, der erfüllt war vom roten Licht der untergehenden Sonne.
    Lauscher war auf die jähe Blendung gefaßt gewesen, von der Narzia gesprochen hatte, doch die Sonne war schon in den Dunst des Horizontes eingetreten und hing wie ein riesiger roter Ball dicht über der violetten Silhouette ferner Hügel. Der Ausblick aus solcher Höhe war so gewaltig, daß Lauscher wie verzaubert stehenblieb. Schließlich packte ihn der Falkenhüter beim Ellenbogen und drängte ihn voran über die Schwelle. Sobald sie eingetreten waren, sagte er: »Hier bringe ich dir diesen Flöter namens Lauscher, dem es gelang, deinen Zuchthengst Morgenstern zuzureiten.«
    Lauscher verbeugte sich vage in die Richtung, in die sein Begleiter gesprochen hatte; denn er sah nicht viel mehr als einen Schatten vor dem weiten Westfenster. Dieser Schatten näherte sich geräuschlos, gewann Umriß und Gestalt, und dann blickte Lauscher in das Gesicht des Großmagiers. Es war ein Gesicht, dessen Züge ihm bei aller Fremdheit auf merkwürdige Weise vertraut erschienen, ein schmales Gesicht mit vorspringender, kühn gebogener Nase, über der die weißen Brauen wie mit dem Pinsel gezeichnet unter der hohen, glatten Stirn standen, das Gesicht eines alten Mannes mit schlohweißem, kurzgeschnittenem Haar. Aber am meisten fesselten Lauscher die Augen dieses Mannes, Augen von moosgrüner Farbe, denen das Alter nichts hatte anhaben können.
    »Ich heiße dich willkommen in Falkenor, Lauscher«, sagte der Großmagier mit metallener, heller Stimme. »Man hat mir so

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