Stein und Flöte
Spiel nicht satt sehen konnte, kam ein Pferdehirte zu ihm herüber, ein mittelgroßer, zierlich gebauter Mann mit der scharfen, leicht gebogenen Nase der Falkenleute, und grüßte ihn freundlich. Lauscher erwiderte den Gruß in der Sprache der Beutereiter, worauf ihn der Hirte erstaunt musterte. »Für einen Beutereiter hatte ich dich nicht gehalten, wenn dein Wallach auch nach ihrer Art aufgezäumt ist«, sagte er. »Kommst du aus dem Lager Khan Hunlis?«
»Nein«, sagte Lauscher. »Aber ich bin eine Zeitlang dort gewesen. Warst auch du schon in der Steppe, weil du die Sprache der Horde sprichst?«
»Einmal«, sagte der Hirte. »Ich hatte damals eine Botschaft des Großmagiers zu überbringen und bin eine Zeitlang dort geblieben, um auf die Antwort zu warten. Aber meine Pferde gefallen mir besser als die struppigen Gäule, die man dort reitet. Und mir scheint, daß es dir nichts anders geht.«
Lauscher nickte. »Sind das eure Zuchthengste?« fragte er.
»Die besten, die wir haben«, sagte der Hirte.
»Und welchen von ihnen würdest du mir empfehlen?« fragte Lauscher.
Der Hirt hielt das wohl für einen Witz und lachte. »Siehst du den Rappen dort drüben mit dem weißen Stern auf der Stirn?« sagte er dann. »Den würde ich nehmen, wenn ich die Wahl hätte. Aber du solltest ihm lieber nicht zu nahe kommen, wenn dir dein Leben lieb ist.«
»Ich danke dir für deinen Rat«, sagte Lauscher ernsthaft. »Diesen Rappen möchte ich haben. Wie heißt er?«
»Du bist ein Spaßvogel«, sägte der Hirt. »Wenn es dir gelingt, ihn einzufangen, kannst du ihn von mir aus behalten. Der Rappe hört auf den Namen Morgenstern, aber du könntest ebensogut versuchen, den Morgenstern vom Himmel zu holen.«
»Das kommt auf einen Versuch an«, sagte Lauscher, holte seine Flöte hervor und begann zu spielen: Schon bei den ersten Tönen hob der Hengst seinen Kopf, stellte die Ohren auf und blickte herüber. Eine Weile stand er wie erstarrt und lauschte der lockenden Melodie; dann schüttelte er seine Mähne und kam langsam herübergetrottet. Der Hirte schien mächtigen Respekt vor ihm zu haben; denn sobald das Tier sich auf etwa zehn Schritt genähert hatte, brachte er sich über den Zaun in Sicherheit und schaute dann fassungslos zu, wie der Hengst weiter herankam, dicht vor dem Flötenspieler stehenblieb und seinen Kopf senkte, als wolle er ihn begrüßen. Lauscher spielte noch eine Weile weiter, und sobald er seine Flöte abgesetzt hatte, beschnoberte der Rappe sein Gesicht, legte ihm den Kopf auf die Schulter und ließ sich in der Mähne kraulen und den Hals klopfen. Da kletterte Lauscher über den Zaun und schwang sich auf den Rücken des Rappens. Der Hirte war dermaßen starr vor Schrecken, daß er unfähig war, diesen offenkundig Wahnwitzigen zurückzuhalten. Lauscher hatte inzwischen seine Flöte wieder an die Lippen gesetzt und ließ Morgenstern jetzt zu seiner Melodie tanzen. Man konnte sehen, wie das schöne Tier jedem Ton der Flöte folgte und nach dem Willen seines Reiters bald vorwärts, bald zur Seite tänzelte, im Kreise lief und wieder stehenblieb, sobald die Melodie verstummte. Schließlich ließ Lauscher den Hengst wieder bis zur Eingrenzung der Koppel traben, sprang ab und tätschelte Morgenstern noch einmal Hals und Flanke. Dann wendete er sich dem Hirten zu, der noch immer völlig verwirrt außerhalb des Zauns stand, und sagte: »Wenn du zu deinem Wort stehst, gehört dieses Pferd jetzt mir.«
»Das ist Zauberei!« stotterte der Hirte.
»Was auch immer«, sagte Lauscher gleichmütig. »Du kannst nicht leugnen, daß ich den Hengst nicht nur eingefangen, sondern sogar geritten habe.«
»Das will ich gar nicht bestreiten«, sagte der Hirte, »aber ich kann dir das Pferd nicht geben, denn er gehört dem Großmagier wie alle Hengste auf dieser Koppel. Ich bin nur der Hirte.«
»Dann hättest du mir diesen Hengst nicht anbieten dürfen«, sagte Lauscher ohne Erbarmen.
»Das habe ich doch nur im Spaß gesagt«,jammerte der Hirte, aber Lauscher ließ sich nicht erweichen. »Was du dir dabei gedacht hast, ist deine Sache«, sagte er. »Ich habe meine Worte jedenfalls ernst gemeint. Du wirst mit mir zum Großmagier gehen müssen, und ich werde ihn fragen, ob er für das Wort seines Pferdehirten einzustehen gedenkt.«
»Du weißt nicht, worauf du dich einläßt!« sagte der Hirte erschrocken. »Ich würde es nie wagen, mit einer solch unverschämten Forderung vor den Großmagier zu treten.«
»Hast du solche Angst
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