Stein und Flöte
von ungefähr zu seiner Flöte griff. Da zog er sie ganz hervor und sagte: »Es wird sich zeigen, ob du deine Weigerung aufrechterhältst. Dein Wille wird wohl nicht so schwer zu brechen sein wie der eines wilden Hengstes.« Da trat in die bisher recht hochmütige Miene des Beamten der Ausdruck von Furcht. Er hob abwehrend beide Hände und sagte: »Ich werde euch zu einem der fünf Kleinmagier führen. Mehr kannst du von mir nicht verlangen, denn weiter reichen meine Befugnisse nicht.«
Nach diesen Worten stieg er beiden voraus die Treppe hinauf, über die er vorher herabgekommen war, und geleitete Lauscher und den Hirten durch eine Flucht von teppichbelegten Gängen und Vorräumen bis zu einer Tür aus harzig duftendem Holz, in die als einziger Schmuck eine von fünf Kreisen umgebene Ohrmuschel eingeschnitzt war. Hier blieb er stehen und sagte: »Hinter dieser Tür wirst du dem Meister der Töne gegenübertreten. Ich bin überzeugt, daß er imstande sein wird, mit den Taschenspielereien eines fahrenden Flöters vom Lande fertigzuwerden. Bestehst du noch immer darauf, das durchzusetzen, was du für dein Recht ausgibst?«
Jetzt kamen auch Lauscher Bedenken, ob er sich weiter auf dieses Wagnis einlassen sollte, und er fragte sich, mit welchen Künsten ihm dieser musikalische Kleinmagier wohl aufwarten würde. Als er jedoch den aufkeimenden Triumph auf dem Gesicht des Beamten bemerkte, schüttelte er seine Befürchtungen ab und sagte: »Worauf wartest du noch? Melde uns an!«
»Wie du willst«, sagte der Beamte und berührte das Ohr auf der Tür. Sogleich erklang eine Folge von fünf hell schwingenden Glockentönen, einer immer höher als der andere, und mit dem letzten dieser Töne sprang der Türflügel auf und schlug geräuschlos zurück. »Du erlaubst?« sagte der Beamte mit höflichem Spott, trat vor Lauscher und seinem Begleiter in den Raum und verbeugte sich tief vor einem hochgewachsenem Greis mit buschigem, schneeweißem Haar, der ein langes Gewand aus sonnengelber Seide trug. Auch Lauscher verbeugte sich vor dieser ehrfurchtgebietenden Gestalt, und der Hirte sank förmlich zusammen im Bewußtsein seiner eigenen Nichtswürdigkeit.
Inzwischen hatte der Beamte begonnen, den Meister der Töne mit diesem schwierigen Fall bekanntzumachen. Lauscher konnte seinen abfälligen Gesten entnehmen, daß er dabei auch gleich seine Meinung über diese Angelegenheit kundzutun versuchte, doch der Kleinmagier schien sich dergleichen zu verbitten, und so beendete der Beamte unbewegten Gesichts seinen Bericht mit knappen Worten und wurde dann entlassen.
Sobald sich die Tür wieder geschlossen hatte, wendete sich der Meister der Töne Lauscher zu und sagte: »Wie ich höre, bist du ein Flöter, und zudem einer, der mehr versteht als irgendwelche Liedchen zu blasen. Ich würde gern eine Probe deiner Kunst hören. Bist du dazu bereit?«
»Gern«, sagte Lauscher nicht ohne Herzklopfen. »Was soll ich denn spielen?«
»Erzähle mir mit deiner Flöte deine Version der Geschichte, die mir der Hofbeamte eben aus seiner Sicht berichtet hat«, sagte der Meister der Töne.
Lauscher fühlte sich geschmeichelt, daß der Magier ihm dergleichen ohne weiteres zutraute, zog sein Instrument hervor und begann zu spielen. Er berichtete anfangs von Arnis Leuten und ihrem friedlichen Leben als Händler und Pferdezüchter, erwähnte auch seine Werbung um Hönis Tochter und erzählte von dem Auftrag, mit dem er nach Falkenor geschickt worden war. All dies behandelte er als eine Art Vorspiel zu der eigentlichen Geschichte, auf die es hier ankam. Sein Gespräch mit dem Pferdehirten und die Zähmung des schwarzen Hengstes stattete er mit allerlei komischen Akzenten aus, denn er hatte an den Lachfältchen im Gesicht des Kleinmagiers erkannt, daß dieser Mann einen ausgeprägten Sinn für Spaß haben mußte, und so versuchte er, ihn auf diese Weise für sich einzunehmen.
Als er seine Flöte absetzte, lachte der Meister der Töne und sagte: »So ähnlich habe ich mir das vorgestellt. Dieser arme Hirte konnte nicht ahnen, daß du es ernst meinst, und das wußtest du genau. Ihn trifft also keine Schuld, und er mag in Frieden zu seinen Pferden zurückkehren.«
Erleichtert verabschiedete sich der Hirte mit einer tiefen Verneigung und verließ den Raum. Doch Lauscher war mit dieser Regelung noch keineswegs zufrieden. »Was ist nun mit dem Zuchthengst?« fragte er.
»Darüber reden wir später, denn auch ich kann das nicht allein entscheiden«, sagte der
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