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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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sich von der Hand der Frauengestalt und trieb langsam davon, das marmorne Fleisch wurde aufgezehrt und gab hohle Wangenknochen und bleckende Zähne frei; die muskulösen Schultern des Tiermannes schwanden dahin, sein Körper knickte ein und sank zusammen wie schmelzendes Wachs, einzelne Stücke trieben noch eine Zeitlang, vermischt mit den Überresten der anderen Figur, wie Flocken durch die sich trübende Brühe in der wabbeligen Höhlung, in deren Mitte jetzt der Graue stand und mit seinen dünnen Fingern nach dem rasch sich auflösenden Schaum haschte. Ein letztes Restchen erwischte er noch und wies es Lauscher auf der ausgestreckten Handfläche vor, ein paar helle Bläschen, die eins nach dem anderen zersprangen, bis nichts mehr übrig war, nichts, überhaupt nichts; denn im gleichen Augenblick verlöschte auch dieses Bild, Lauscher wurde hinabgerissen in den schwarzen Abgrund und empfand nichts mehr als Leere und namenlose Angst.

    In der Morgendämmerung wachte er auf und merkte, daß er sich an die Pfosten des Schlafgestells klammerte, als könne er seinen Sturz damit aufhalten, doch die Empfindung des unablässigen Fallens wollte sich nicht verlieren. Er fühlte sich schwach und ausgelaugt und sehnte sich danach, festgehalten zu werden, damit dieses Stürzen endlich aufhörte. Aber die Arme, auf deren Halt er hoffte, waren unerreichbar weit entfernt. Erst mußte er diese Reise hinter sich bringen. Mühsam stemmte er sich auf seinem Lager hoch, stand auf und zog sich an. Er wußte jetzt, daß er noch an diesem Morgen weiterreiten mußte. Er wollte sich nun nicht mehr aufhalten lassen, bis er auch diese dritte Aufgabe bewältigt hatte, und dazu sollte ihm jedes Mittel recht sein.
    »Du siehst schlecht aus«, sagte Boschatzka beim Abschied. »Willst du dich nicht noch ein paar Tage bei uns ausruhen?« Aber Lauscher winkte ab und sagte, er habe schon allzu viel Zeit verloren, bedankte sich für alle Hilfe und Gastfreundschaft und ritt dann auf seinem Wallach weiter flußabwärts.
    Viele Tage war er noch unterwegs zwischen Fluß und Ebene. Irgendwann merkte er, daß nach Osten zu nicht mehr die dürre Steppe unter der Sonne flimmerte; so weit der Blick reichte, breiteten sich grüne, saftige Wiesen aus, immer wieder unterbrochen von einzelnen Baumgruppen oder kleinen Buschwäldern, die sich, während er weiterritt, übereinander schoben und den Horizont in ständig sich verändernde Abschnitte gliederten. Der Braune Fluß war zum breiten Strom geworden; die Auwälder am jenseitigen Ufer lagen so weit entfernt, daß sie nur noch als dunkler, moosartig gekräuselter Saum die weite, strömende Wasserfläche begrenzten. Und dann hob sich eines Vormittags weit voraus aus dem fernen Dunst die kantige Silhouette des großen Hauses von Falkenor.
    Seit er das Dorf der Karpfenköpfe verlassen hatte, war Lauscher in dumpfer Gleichgültigkeit dahingeritten, hatte sich abends unter irgendeinem Gebüsch zum Schlafen gelegt und war am Morgen wieder auf sein Pferd gestiegen. Das eintönige Gleichmaß der Wegstrecken und das stetige Strömen des Flusses an seiner Seite hatten ihn jedes Gefühl für Zeit verlieren lassen, und schließlich war ihm zumute, als ritte er nun schon Jahre oder Jahrzehnte ohne Ziel immer weiter in die gleiche Richtung und müsse so weiterreiten bis ans Ende aller Tage. Doch mit dem Auftauchen des Hauses, in dem der Großmagier wohnte, war eine entscheidende Änderung eingetreten. Es gab jetzt wieder einen Punkt, auf den er zureiten mußte, und damit erinnerte er sich auch der Aufgabe, die er dort würde lösen müssen, wenn er sich auch vorderhand außerstande fühlte, irgendeinen Plan zu schmieden.
    Am Nachmittag, als das Haus des Großmagiers schon wie ein gewaltiger Block über die Ebene ragte, sah Lauscher in den Wiesen links des Weges eine Pferdeherde weiden und lenkte seinen Wallach hinüber, um sich die Tiere anzusehen. Bei der Koppel stieg er ab, lehnte sich auf die Querlatte der Einzäunung und schaute zu, wie die schlankfüßigen Hengste in Gruppen grasten, dann plötzlich die schmalen Köpfe hoben und wie auf ein vereinbartes Zeichen in federndem Galopp durch die Koppel fegten, sich spielerisch aufbäumten und wieder zu ihrem Weideplatz zurücktrotteten. Noch nie hatte er solch edle Pferde gesehen; jede ihrer Bewegungen war von unbeschreiblicher Anmut, und doch ahnte man die unbändige Kraft, die sich in ihrem lässigen Gang verbarg.
    Während er auf den Zaun gestützt stand und sich an diesem

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