Stein und Flöte
der Hüter der Falken eintrat, gab er ihm den Auftrag, den Meister der Kräuter herbeizuholen.
Lauscher fragte sich, was er mit diesem Finistar zu schaffen habe, aber der Großmagier gab ihm keine weiteren Erklärungen. Er blickte nachdenklich vor sich hin und sprach kein Wort, bis das bronzene Dröhnen ankündigte, daß die Erwarteten vor der Tür standen.
Finistar war ein greisenhaft hagerer, hochgewachsener Mann mit buschigen weißen Augenbrauen und den etwas hervorstehenden Augäpfeln eines leicht erregbaren Menschen. Er trug ein grünes Seidengewand und hatte das Gehabe eines Würdenträgers, der sich seiner Bedeutung bewußt ist. Nachdem der Großmagier dem Hüter der Falken gedankt und ihn entlassen hatte, verbeugte sich Finistar und fragte nach den Wünschen des Herrn von Falkenor.
»Ich will etwas mit dir besprechen, das auch diesen jungen Flöter hier betrifft«, sagte der Großmagier. »Setz dich zu uns!«
Lauscher war ehrerbietig aufgestanden und begrüßte den Meister der Kräuter mit einer Verbeugung, die dieser nur sehr knapp erwiderte. Dann setzten sich beide, und der Großmagier sagte: »Ich muß eine Erinnerung in dir wecken, Finistar, die weit zurückliegt und dir überdies nicht sehr lieb sein wird. Vor etwa dreißig Jahren war schon einmal ein Flöter zu Gast in Falkenor, der dir bei der Heilung des Stallaufsehers Ernebar ein wenig zur Hand ging. Entsinnst du dich?«
Finistars Gesicht verdüsterte sich. »Das ist lange her«, sagte er zögernd. »Gibt es einen Grund, daß du mir diesen Fremden nach so langer Zeit ins Gedächtnis zurückrufst?«
»Dessen bin ich sicher«, sagte der Großmagier. »Ich möchte zunächst mit dir über den Tag reden, an dem dieser Flöter einige Wochen nach der Heilung Ernebars auf seinem Maultier davonritt. Ich weiß noch, daß du eigens in den Hof gekommen bist, um dich von ihm zu verabschieden und ihm etwas auf die Reise mitzugeben. Damals habe ich mich ein wenig gewundert; denn ich hatte nicht den Eindruck, daß du diesen Mann besonders ins Herz geschlossen hättest. Heute frage ich mich, was du ihm damals gegeben hast.«
»Wie soll ich mich nach so vielen Jahren an dergleichen Belanglosigkeiten erinnern?« sagte Finistar. Doch der Großmagier gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. »Belanglosigkeiten waren das wohl nicht«, sagte er. »Ich will deinem Gedächtnis ein wenig nachhelfen: Es waren Krüglein, wie du sie für deine Kräutertränke verwendest.«
»Ach, das meinst du!« sagte Finistar. »Ich hatte für ihn einen Saft zubereitet, der dem Reisenden sehr nützlich sein kann. Er verleiht dem Müden neue Kraft, wenn auch nur für eine Stunde.«
»Und wirft ihn dann für drei Tage auf die Bretter!« sagte Lauscher.
Finistar warf ihm einen bösen Blick zu und sagte: »Ich hielt den Flöter nicht für so unklug, diesen Trank zur Unzeit zu gebrauchen.«
»Damit hast du ihn richtig eingeschätzt«, sagte der Großmagier. »Er war wohl auch klug genug, die anderen Krüglein gar nicht erst zu öffnen, die du ihm auch noch zugesteckt hast.«
»Welche anderen Krüglein?« fragte Finistar, aber der gehetzte Ausdruck, der in seine Augen trat, verriet deutlich, daß er genau wußte, wovon die Rede war.
»Wenn du das nicht wahrhaben willst«, sagte der Großmagier, »dann gibst du zugleich damit zu, daß du dem Flöter schaden wolltest. Soll ich dir sagen, was du ihm zugedacht hattest? Schwarze Träume des Nichts oder Versteinerung des Leibes!«
»Er wußte doch, was die Krüglein enthalten!« schrie der Magier. »Ich hatte es eigens in seiner Sprache daraufgeschrieben! Also trifft mich kein Vorwurf.«
»Du bist ein kluger Mann, Finistar«, sagte der Großmagier. »Ich will dir sagen, was du dir dabei gedacht hast: Irgendwann gerät jeder Mensch an den Rand jener Verzweiflung, die ihn nach dergleichen Elixieren greifen läßt, und auch dieser Flöter wird nicht davon verschont bleiben. Wie oft hast du dich wohl gefragt, ob ihn dieses Unheil inzwischen erreicht haben mag?«
Finistar senkte den Kopf und sagte nichts mehr. Aber der Großmagier hatte noch nicht zu Ende gesprochen. »Du hast diesen Mann unterschätzt, Finistar«, sagte er. »Er hat der Versuchung widerstanden. Aber sein Enkel hier hat die Krüglein gefunden und ist statt seiner in die Macht der schwarzen Träume geraten.«
»Ich werde ihn heilen«, sagte Finistar hastig, aber der Großmagier schüttelte den Kopf. »Wie sollte ich dir noch trauen?« sagte er. »Ich werde mich selbst
Weitere Kostenlose Bücher