Stein und Flöte
blieben stehen und schnoberten ein bißchen auf dem gepflasterten Boden herum, als seien sie enttäuscht, daß da kein Gras wuchs. Endlich wagten sich jetzt die Pferdeknechte an sie heran, und alle Hengste ließen sich folgsam in den Stall führen, während der Flöter sich um sein Maultier kümmerte, das er draußen vor dem Tor hatte warten lassen.
Ein paar andere hatten Ernebar inzwischen überwältigt. Er hatte sich gewehrt wie ein Rasender und mußte von vier Männern festgehalten werden, damit er sich nicht wieder losriß. Ringsum stand eine Menge von Leuten, die der Lärm aus dem Haus gelockt hatte, darunter auch ein paar Hofbeamte und Finistar, der seit einiger Zeit als Meister der Kräuter zu den fünf Kleinmagiern gehörte. Alle redeten durcheinander, und die meisten sagten laut, daß Ernebar von bösen Geistern besessen sei. Da drängte sich dieser Flöter durch den Kreis der Umstehenden, schaute sich Ernebar an, der noch immer gegen die Männer rang und dabei sein Gesicht zu scheußlichen Grimassen verzerrte, und sagte dann zu den Leuten: ›Was soll dieser Unsinn von bösen Geistern und dergleichen? Der Mann ist krank, und man muß ihm helfen.‹
Als ihn einige der Leute fragten, ob er sich zutraue, Ernebar zu heilen, sagte er, daß er es versuchen wolle. Doch da mischte sich Finistar ein und sagte, wenn hier in Falkenor einer das Recht habe, Kranke zu heilen, so sei er das, denn er sei der Meister der Kräuter, und er würde nicht dulden, daß Fremde sich in seine Angelegenheiten einmischten. Außerdem fragte er den Flöter, was er hier überhaupt zu suchen habe.
Ich habe damals die unerschütterliche Heiterkeit dieses Flöters bewundert. Wir kannten Finistars zorniges Temperament und waren es gewöhnt, daß er rasch aus der Haut fuhr, aber der Flöter hatte ihn noch nie gesehen und hätte leicht beleidigt sein können. Doch Finistars unfreundliche Rede rann an ihm ab wie Wasser. Er sagte, daß er nach Falkenor gekommen sei, weil er gehört habe, daß man hier ein paar weise Männer treffen könne. Einen davon habe er ja nun schon kennengelernt, und er freue sich, daß ein solch kundiger Meister sich des bedauernswerten Kranken annehmen würde. Dabei lächelte er so freundlich, daß Finistar nicht mehr wußte, was er mit seinem Zorn anfangen sollte. Ehe ihm eine geeignete Antwort einfiel, hatte sich der Flöter schon höflich verbeugt und aus dem Kreis der Leute entfernt.
Dieser unscheinbare, freundliche Mann hatte mich schon dadurch beeindruckt, wie er die Pferde besänftigt hatte, aber nach seinem Gespräch mit Finistar erschien er mir noch weitaus bemerkenswerter. Ich folgte ihm, sprach ihn an und lud ihn ein, mein Gast zu sein, so lange es ihm beliebe. Er nahm die Einladung ohne weiteres an und wohnte danach für ein paar Wochen bei mir im großen Haus.
Während dieser Zeit geschah dann Folgendes: Finistar hatte den Stallaufseher, der noch immer kaum zu bändigen war, in einen Raum neben den Ställen sperren lassen und braute allerlei Kräuterabsude zusammen, die er ihm einflößen ließ. Aber der Zustand Ernebars wollte sich nicht bessern. Er saß wohl zeitweise apathisch in einem Winkel seiner Kammer und brütete dumpf vor sich hin, doch unversehens verfiel er dann wieder in seine Raserei, die so gefährliche Formen annahm, daß keiner mehr allein zu ihm hineinzugehen wagte. Der Flöter erkundigte sich regelmäßig nach seinem Befinden, und als nach Ablauf einer Woche noch immer alles beim Alten war, schüttelte er betrübt den Kopf und ließ durchblicken, wie sehr er es bedaure, dem Meister der Kräuter in diesem schwierigen Fall nicht mit ein paar bescheidenen Ratschlägen beistehen zu dürfen.
Ich war mir im klaren, daß Finistar sich damit nie einverstanden erklären würde. Ernebar war jedoch mein Freund, und ich wollte nichts unversucht lassen, das ihm helfen könnte. So brachte ich die Sache vor den Großmagier, der die Gesellschaft des Flöters mittlerweile schätzen gelernt hatte und seiner Musik so gern zuhörte, daß der damalige Meister der Töne ihn einmal fragte, ob er der heilsamen Kraft unseres Fünftonsystems untreu werden wolle. Er fragte das jedoch wohl nur im Scherz; denn auch er mochte den Flöter gern und verstrickte sich mit ihm oft in stundenlange Diskussionen über musiktheoretische Probleme, die meine Fassungskraft bei Weitem überstiegen.
Der Großmagier bedachte sich eine Weile und sagte dann: ›Es gehört zu den Pflichten eines Magiers, daß er sein Leben lang
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