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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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seiner annehmen, denn auch ich verstehe ein wenig von diesen Dingen.«
    Finistar erhob sich und sagte: »Dann erlaubst du wohl, daß ich mich zurückziehe.«
    »Nein!« sagte der Großmagier mit schneidender Schärfe. Er forderte Finistar nicht auf, sich wieder zu setzen, sondern sprach sofort weiter: »Aus alledem ergibt sich für mich eine weitere Frage: Ich kann nicht glauben, daß du dich nur für eine Demütigung hast rächen wollen, die dir der Flöter ohne bösen Willen zugefügt hat, um diesen Kranken zu heilen. Mir ist jetzt klar geworden, was der Flöter damals zu dir gesagt hat, als er dir das Gefäß zurückgab, aus dem du den Stallaufseher hast trinken lassen. Du hattest ihm ein starkes Gift gegeben, das die Sinne verwirrt, und zwar auch schon, bevor seine Krankheit ausbrach.«
    Finistar stand jetzt schlaff und zusammengesunken wie eine willenlose Puppe vor dem Großmagier. »Dir bleibt nichts verborgen, Herr«, sagte er leise. »Ich will dir alles sagen, ehe du mich aus dem Kreis der Kleinmagier ausstößt. Nicht lange, bevor diese Dinge geschehen sind, von denen wir bisher gesprochen haben, wurdest du zum Hüter der Falken gewählt, und ich war einer von denen, die für dich gesprochen haben. Das sage ich nicht, um dich jetzt für mich einzunehmen, sondern weil es zur Erklärung meines Verhaltens gehört. Ich habe dich schon immer bewundert, auch als du noch Wendikar, der Aufseher des Falkenhauses warst; denn du warst nicht nur klug, sondern wußtest die Leute durch deine Freundlichkeit zu gewinnen. Ich bin immer ein verschlossener Mensch gewesen, unzufrieden mit mir selbst und deshalb wohl auch ungeduldig mit anderen. Aus diesem Grunde ist es mir nie gelungen, einen Freund zu finden. Als du dann zu deiner neuen Würde erhoben wurdest, nahm ich mir vor, deine Freundschaft zu suchen, doch du, der sonst für jeden ein gutes Wort hatte, bliebst mir gegenüber verschlossen und abweisend. Für Ernebar warst du immer zu sprechen, obwohl er nicht zu unserem Kreis gehörte; jeden Tag sah ich euch Arm in Arm über den Hof gehen; wenn du zur Falkenbeize ausrittst, war er an deiner Seite, und in deiner Familie verkehrte er wie ein naher Verwandter. Da begann ich Ernebar zu hassen, denn ich kam zu der Meinung, daß nur er dich daran hinderte, mir deine Aufmerksamkeit zu schenken, und so beschloß ich, ihn auf diese Weise aus dem Weg zu räumen. Es war nicht schwer, ihm das Gift beizubringen, denn er kannte kein Mißtrauen. Anfangs hatte ich Angst, der Flöter könne dem Großmagier verraten haben, was er entdeckt hatte. Als ich dann begriff, daß er geschwiegen hatte, ritt er längst wieder auf seinem Maultier über Land, und der Gedanke, in welche Gefahr ich ihn gebracht hatte, raubte mir den Schlaf. Vielleicht befriedigt es dich, wenn ich dir sage, daß ich seit diesen Tagen in noch größerer Vereinsamung gelebt habe.«
    Der Großmagier schüttelte abwehrend den Kopf. »Das befriedigt mich durchaus nicht, sondern es macht mich traurig«, sagte er. »Ich sehe nun, daß ich selbst mitverantwortlich bin für deine Verirrung.« Er stand auf, ging zu dem alten Mann hinüber und legte ihm den Arm um die Schultern. Eine Weile blieb er stehen und blickte zu Boden, als suche er nach einem Ausweg. Dann hob er den Kopf und sagte: »Ich bedaure das sehr, aber ich kann dennoch nicht zulassen, daß du weiterhin dein Amt ausübst.«
    »Ich weiß«, sagte Finistar, »und ich mache dir deshalb keine Vorwürfe. Wann soll ich dein Haus verlassen?«
    »Überhaupt nicht, wenn du lieber bleiben willst«, sagte der Großmagier ohne zu zögern. »Wir werden viel miteinander zu reden haben, soweit du mir erlaubst, ein wenig von meinen Versäumnissen nachzuholen. Und sage nicht ›Herr‹ zu mir, denn auch ich stehe in deiner Schuld.« Damit entließ er Finistar.
    Lauscher war dem Gespräch der beiden alten Männer mit Spannung gefolgt. Er fühlte sich einbezogen in ein Geflecht von Ereignissen, die weit über seine eigene Verstrickung hinausreichten, und seine anfängliche Abneigung gegen Finistar hatte sich nach und nach zu Mitleid gewandelt. Der Großmagier schaute ihn nachdenklich an und sagte nach einer Weile: »So wächst eine Schuld aus der anderen, und wenn man lange genug nachfragt, findet man schließlich auch die eigene. Auf irgendeine Weise hat man immer Teil an den Dingen, deren Zeuge man ist. Hole mir jetzt das Krüglein mit dem Saft, der süße und schwarze Träume bringt. Nach allem, was ich jetzt weiß, bin ich um so

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