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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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mehr verpflichtet, dich von dem Rand des Abgrunds zurückzuhalten, an den du geraten bist.«
    Als Lauscher mit dem Krüglein zurückkam, hatte der Großmagier in einem Wandkamin ein Feuer entfacht. Er nahm Lauscher das apfelgroße Gefäß aus der Hand und las die Aufschrift, die zwar verwaschen war von der Wasserfahrt im Braunen Fluß, sich aber noch entziffern ließ. »Irgendwann hättest du auch noch den dritten Tropfen gekostet«, sagte er. »Finistar wußte genau, wohin dieses Gebräu den treibt, der einmal davon getrunken hat.«
    Er legte das Krüglein ins Feuer, nahm einen Schürhaken von der Wand und zerschlug es. Der braune Saft schäumte zischend über die brennenden Holzscheite und laugte der Flamme ihre Farbe aus; sie verblaßte zu fahlem Violett, wurde durchsichtig, und wenn die wabernde Hitze das Muster der Steine an der Rückseite des Kamins nicht hätte zittern lassen, hätte man meinen können, das Feuer sei erloschen. Der anfangs angenehm würzige Kräuterduft, den der brodelnde Saft ausströmte, wurde stickig, Rauch breitete sich auf dem Boden aus wie blasser Nebel und begann zu steigen, stieg und stieg, und zugleich verdüsterte sich der Raum, obgleich draußen vor dem Fenster noch heller Tag war, aber das Licht wurde zurückgedrängt von der Schwärze, die sich unaufhaltsam ausbreitete wie zäher Schlamm, der Lauscher alsbald um den Hals schwappte und ihm endlich über die Augen stieg.
    Als Lauscher wieder zu Bewußtsein kam, lag er ausgestreckt auf dem Teppich vor dem erkalteten Kamin. Der Großmagier stand über ihn gebeugt und setzte ihm einen Becher an den Mund. Lauscher spürte eine kühle, aromatische Flüssigkeit auf den Lippen und trank in vollen Zügen. Der Schwindel, der noch eben in seinem Hirn gekreist hatte, verging augenblicklich. »Kannst du schon aufstehen?« fragte der Großmagier. Lauscher versuchte es, und es gelang ihm wider alles Erwarten, sofort auf die Beine zu kommen. »Setz dich an den Tisch!« sagte der Großmagier und nahm auf dem anderen Stuhl Platz. »Wie fühlst du dich?«
    »Noch ein bißchen benommen«, sagte Lauscher und versuchte ein schiefes Lächeln.
    »Das wird rasch vergehen«, sagte Großmagier. »Du wirst nie wieder die Lust verspüren, von diesen Tropfen zu kosten, selbst wenn du sie noch bei dir hättest. Aber die Erinnerung an deine Träume kann ich dir nicht nehmen, Lauscher. Damit wirst du künftig leben müssen. Und jetzt solltest du schlafen gehen. Morgen früh will ich mit dir auf die Falkenjagd reiten.«
    Im Morgengrauen wurde Lauscher vom Hüter der Falken geweckt. Noch halb im Schlaf trank er einen Becher Milch, kaute ein Stück Brot dazu, und dann drängte sein Gastgeber schon zum Aufbruch. »Wir wollen den Großmagier nicht warten lassen«, sagte er und ging mit Lauscher zu den Ställen. Während Lauscher seinem Wallach den Sattel auflegte, kam auch schon der Großmagier in den Stall und blieb bei ihm stehen. »Willst du heute nicht deinen Hengst reiten?« fragte er.
    Lauscher hatte auch schon daran gedacht, den Rappen zu satteln, hatte es dann jedoch nicht gewagt, weil er nicht wußte, wie der ehemalige Besitzer das aufnehmen würde. Jetzt, da dieser selbst ihn dazu aufforderte, nahm Lauscher seinem Wallach den Sattel wieder ab, zäumte den schwarzen Hengst auf und führte ihn in den Hof. Dort wartete schon der Falkenhüter und neben ihm ein Reitknecht mit drei Jagdfalken, die auf dem Querholz eines Tragstocks saßen. Gleich darauf trabte die kleine Kavalkade zum Tor hinaus.
    Solange sie zwischen den Häusern von Falkenor durch die Straße ritten, mußten sie ihre Pferde zügeln, wenn die Leute ihnen auch ehrerbietig Platz machten und sich tief vor dem Großmagier verneigten. Draußen im Freien schlugen die Reiter dann einen raschen Trab an. Der Rappe hatte einen derart leichten Gang, daß Lauscher über den Rasen zu schweben meinte. So sanft hatte ihn bisher nur sein Esel Jalf getragen während jener Jahre, in denen er mit Barlo durch das Land geritten war. Er fühlte sich so frei und unbeschwert wie seit langem nicht und fragte sich, ob er dies dem edlen Pferd zu danken habe oder den geheimen Künsten des schwarzgekleideten Mannes, der vor ihm dahintrabte. Lauscher bewunderte, wie aufrecht der Großmagier trotz seines hohen Alters noch zu Pferde saß; er ritt auf seinem Schimmel voraus und bestimmte das Tempo. Nach einer Weile winkte er Lauscher an seine Seite und fragte ihn: »Hast du schon einmal mit dem Falken gejagt?«
    »Nein«, sagte

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