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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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verstehen, und es schien ihm, daß dies die Sprache der Fische sein mußte. »Kommt, meine Freunde!« rief das Mädchen. »Schwimmt her zu mir, ihr Forellen und Saiblinge, ihr Stichlinge und Brachsen!« Und schon sah er, wie das Wasser sich kräuselte und die silbrig aufblitzenden Leiber der Fische hochschnellten und spritzend in die Strömung zurückplatschten. »Hört mir zu!« rief das Mädchen, und sogleich wurde das Wasser wieder ruhig, aber Steinauge konnte sehen, wie es sich zu Füßen des Mädchens dunkel färbte von den Schatten der vielen, dicht zusammengedrängten Fische. »Hört zu!« sagte das Mädchen noch einmal, und dann sang es:
    Ich suche einen,
    der flöten kann,
    mit Wölfen spricht,
    einen Liedermann.
    Er ritt einst mit Barlo,
    der die Sprache verlor,
    und spielt’ für den Grünen
    im Nebelmoor.
    Er sang mir das Lied,
    das den Grünen erfreut,
    das Lied von Schön Agla,
    die den Grünen nicht scheut.
    Er war bei den Leuten
    um Arnis Haus,
    nun ist er verschwunden
    wie eine Maus.
    Ach fragt doch den Grünen,
    wo ich finden kann
    den Flötenspieler,
    den Liedermann.
    Als das Mädchen diesen Singsang beendet hatte, quirlte das Wasser zu seinen Füßen auf, und die Schatten der Fische schossen pfeilschnell über den Grund davon.
    Das Mädchen stand auf und schaute mit seinen seltsamen Augen herüber zu dem Gebüsch, in dem Steinauge sich versteckt hatte. Im gleichen Augenblick, in dem ihm bewußt wurde, daß er, um das Geschehen am Bach besser beobachten zu können, sich aufgerichtet hatte und frei über die Sträucher hinwegblickte, warf das Mädchen plötzlich die Arme hoch und rief: »Flöter!« Er stand wie erstarrt und schaute hinüber zu dem Kind, das leichtfüßig über den Bach sprang und über die Wiese auf ihn zurannte. »Ich habe dich gesehen!« rief es im Laufen. »Versteck dich nicht länger! Komm heraus, Flöter!«
    Da erinnerte sich Steinauge, daß dies ein Spiel war, bei dem es darum ging, den anderen in seinem Versteck zu ertappen. Einer schaut weg und zählt bis zu einer vorher bestimmten Zahl, während der andere sich davonschleicht, irgendwo eine Deckung sucht und darauf wartet, ob er gefunden wird. Er entsann sich genau des Herzklopfens, das einen überfiel, wenn man im Verborgenen hockte und der andere schon nahe war. Auch jetzt klopfte sein Herz bis zum Halse, denn er war gefunden worden und mußte nach der Regel des Spiels aus dem Versteck heraustreten und sich ergeben. Also trat er aus dem Gebüsch hervor und ergab sich. Da weiteten sich die Augen des Mädchens, das schon nahe herangekommen war, und es hielt so jäh im Laufen inne, daß es fast gestürzt wäre. Es blieb taumelnd stehen, auf seinem Gesicht stand das blanke Entsetzen. »Nein!« schrie es und schlug die Hände vors Gesicht. Dann wirbelte es herum, rannte über die Wiese davon, setzte über den Bach und hastete weiter bis zu den Pferden, die weiter draußen weideten. Dort sprang es mit einem Satz auf den Rücken eines gescheckten Ponys und trieb das Tier im Galopp bachabwärts über den Talboden davon.
    Seit er die Augen des Mädchens erkannte hatte, war Steinauge sicher gewesen, daß er den Sinn dieses Spiels begriffen habe, ja, daß er wegen dieses Spiels in das flache Wiesental hatte kommen müssen, und nun begriff er gar nichts mehr. Vielleicht bin ich doch zu früh aus meinem Versteck getreten, dachte er. Immer bin ich zu ungeduldig. Winzig klein sah er schon weit in der Ferne die schmale Gestalt über die Wiesen gleiten, dann verschmolz sie mit den braunen Flecken, die dort das gleichmäßige Grün durchbrachen. Das mußten wohl Hütten und Stallungen sein. »Beim nächsten Mal spiele ich besser«, sagte er halblaut vor sich hin, und ihm schien, daß ihn hier für diesmal nichts mehr erwartete.
    Von diesem Tage an begann er sich auf den Rückweg zu machen, wenn er sich dabei auch nicht sonderlich beeilte. Er ließ den Talboden hinter sich, folgte dem Bachlauf aufwärts durch die lichten Wälder und erreichte schließlich wieder die Quelle unter dem Ahornbaum. Das Laub der Birken färbte sich schon und flimmerte gelb zwischen dem noch dunkelgrünen Erlengebüsch. »Spielt ihr heute nacht wieder mit mir?« sagte Steinauge, während er zwischen den schlanken weißen Stämmen dahinschlenderte und zärtlich mit den Fingerspitzen über die seidige Rinde streifte. Er sehnte sich danach, das helle Lachen der dahinwirbelnden Schwestern zu hören, denen seine böckische Gestalt keinen Schrecken einjagte.
    Nadelzahn

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