Stein und Flöte
hatte sich inzwischen auf die Jagd gemacht und brachte, ehe es dunkel wurde, ein junges Birkhuhn, das einen köstlichen Braten abgab. Als er satt war, legte sich Steinauge in das weiche Gras neben der Quelle, schaute über das niederbrennende Feuer hinweg in das Gesprenkel der Birkenblätter, das sich im Mondlicht hell vor der nächtlichen Kulisse der kugeligen Erlenbüsche abhob, und wartete darauf, daß die leichtfüßigen Schwestern zum Leben erwachten und mit ihm tanzten.
Darüber mußte er wohl eingeschlafen sein; denn als er von einem Platschen dicht neben seinem Kopf hochgeschreckt wurde, stand der Mond nicht mehr am Himmel. Die blassen Birkenstämme unter dem dunklen Gewölk des Laubs hatten sich nicht von der Stelle bewegt, aber am Rand des Quellbeckens regte sich etwas. Steinauge spürte, wie der schmale Körper des Wiesels an seiner Seite sich spannte wie eine stählerne Feder, doch ihm schien, daß dies nichts Feindliches war, was sich hier näherte. Er legte seine Hand beruhigend auf das glatte Fell seines Freundes und sagte: »Laß das! An dieser Quelle solltest du den Frieden nicht brechen.«
»Danke, du Zottelbock«, sagte eine weiche, ein wenig blubbernde Stimme. »Dann kann ich mich ja aus diesem Tümpel herauswagen.«
Steinauge, der sich inzwischen aufgesetzt hatte, hörte mehr als er sah, wie ein plumpes Wesen schwerfällig aus dem Wasser heraustappte und dicht vor seinem Lagerplatz im Moos hocken blieb. Im schwachen Licht der Sterne erkannte er nicht viel mehr als einen Schimmer feuchtglänzender warziger Haut und zwei goldfarbene Augen, die wie von innen heraus erleuchtet schienen. Der Besucher war eine Kröte von beträchtlicher Größe.
»Eigentlich hatte ich heute nacht anderen Besuch erwartet«, sagte er.
Das blubbernde Kichern der Kröte sagte ihm, daß sie sehr wohl wußte, mit wem er in dieser Nacht hatte spielen wollen. »Du bist zur Unzeit gekommen«, sagte sie. »Hast du nicht gesehen, daß die Schwestern schon ihre gelben Gewänder angelegt haben? Das leichtfertige Volk der Birkenmädchen ist jetzt zu müde für solch wilde Spiele. Sie haben sich schon zum Schlafen zurechtgemacht und werden bald dem nächsten Frühling entgegenträumen. Wenn du Gesellschaft suchst, mußt du mit mir vorliebnehmen, und auch ich komme nur deshalb zu dir, weil du mir einmal einen so schönen Namen gegeben hast.«
»Was für einen Namen? Habe ich dich früher schon einmal getroffen?« fragte Steinauge und zermarterte sein Hirn, wann und wo das gewesen sein könnte.
»Denk ein bißchen nach, dann wird’s dir schon einfallen«, sagte die Kröte und blickte ihn mit ihren schönen Augen erwartungsvoll an.
Steinauge war in der Tat so zumute, als habe er diese Situation schon einmal erlebt: ein glucksender Bach unter nächtlichem Gebüsch und der ruhige, zugleich ein wenig spöttische Blick, der die häßliche Gestalt dieser unförmigen Kröte vergessen ließ.
»Goldauge«, sagte er »wo habe ich dich schon einmal getroffen? Das muß gewesen sein, bevor ich alles vergaß.«
»Den Namen hast du wenigstens behalten«, sagte die Kröte. »Das ist immerhin schon etwas. Wer noch Namen weiß, findet mit der Zeit auch das wieder, was dazugehört. Vielleicht am Ende auch sich selber. Wie nennt man dich jetzt?«
»Meine Ziegen rufen mich Steinauge«, sagte der Bocksfüßige. »Ist das nicht mein richtiger Name?«
»Das mußt du schon selber herausbekommen«, sagte die Kröte. »Einstweilen kannst du ganz zufrieden sein, Steinauge zu heißen. Ich könnte mir schlimmere Namen vorstellen, die man dir aus dem einen oder anderen Grunde geben könnte. Wenigstens dieses eine Kleinod scheinst du ja in dein böckisches Leben herübergerettet zu haben, und das läßt mich hoffen, daß du deine Tage nicht in der Gesellschaft von Ziegen beschließen wirst. Ich würde den Augenstein gerne wieder einmal sehen. Willst du mir nicht die Freude machen, ihn für mich aus seinem Versteck zu holen?«
»Gern«, sagte Steinauge, öffnete den Beutel und nahm den Stein heraus. Sobald er ihn auf der flachen Hand vorzeigte, begann der Stein zu leuchten. Es war, als fange sich der goldene Schimmer der Krötenaugen in der glatten Rundung des Steins und wecke die farbigen Ringe zum Leben. Erst glühte nur ein goldener Punkt tief drinnen in der Mitte des Steins, ein Keim von Licht, der wuchs und wuchs und sich ausbreitete wie Wellenringe im Wasser um die Stelle, an der eben ein Fisch nach einer Fliege geschnappt hat. Aber es war kein
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