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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Einschlummern, während das Rauschen abebbte. Dann schwoll das Geflüster noch einmal an, und er hörte eine einzelne der Schwestern sagen: »Schlaf gut, mein Faun! Bei uns bist du sicher. Suche nach dem, was gewesen ist, dann wirst du dein Mädchen schon finden.« Steinauge sah die flüchtige Gestalt vor sich, die sich in seinen Armen in eine Birke verwandelt hatte. Er wollte noch fragen, wie er die Fährte in die Vergangenheit finden sollte, aber da war er schon eingeschlafen.
    Am nächsten Morgen verabschiedete sich Steinauge von seinen Birken, über deren golden flimmerndem Laub ein milchiger Himmel stand. Vom Berg her blies ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Fallwind und trieb einzelne welke Blätter vor sich her. Während des Aufstiegs über das nur dürftig bewachsene Gelände überkam Steinauge wieder jene bedrückende Angst, aber das mußte er wohl ertragen, wenn er über das Joch zurück zu seinen Ziegen wandern wollte. Während er sich an den zähen Zweigen der Bergweiden von Tritt zu Tritt die Berglehne hinaufhangelte, versuchte er sich einzureden, diese Beklemmung würde ihm durch das schwüle Wetter verursacht, das ihm den Schweiß aus allen Poren trieb. Zuweilen fuhr ein jäher Windstoß auf ihn herab, der aber keine Kühlung brachte.
    Schließlich erreichte er die Region des Krummholzes und der hochragenden Zirben und kroch nun wieder unter dem schwarzen Geäst weiter, aus dem dürre Nadeln auf ihn herabregneten. Inzwischen hatten sich am Himmel hohe, rasch auseinanderquellende Wolken aufgetürmt, die bald die blasse Sonne verdeckten, ohne daß es deshalb kühler geworden wäre. »Wir wollen uns einen Unterschlupf suchen«, sagte Nadelzahn. »Da oben braut sich ein Wetter zusammen.«
    Doch Steinauge hatte keine Lust, sich in dieser spärlich bewachsenen Gegend länger als nötig aufzuhalten. Er arbeitete sich weiter mit harzverklebten Händen durch das Dickicht der Latschenkiefern, verschnaufte gelegentlich nur für ein paar Augenblicke unter dem dichtgequirlten Geäst einer der Zirben und starrte voraus, um zwischen den felsigen Abbrüchen einen gangbaren Weg auf die Höhe des Jochs ausfindig zu machen. Er entschloß sich, über eine bewachsene Schotterrinne aufzusteigen, die zwischen schroffen Wänden auf die Höhe zu führen schien, doch als er die Stelle erreicht hatte, an der dieses letzte Teilstück begann, brach das Wetter los.
    Aus den schwarz herabhängenden Wolken, die sich über dem Joch zusammengezogen hatten, fuhr ein weißglühender Feuerstrahl herab in den Felsen, daß Steinauge ein Dutzend Herzschläge lang geblendet war und nichts weiter sah, als das schwarze, verästelte Gegenbild dieses Blitzes. Der unmittelbar darauf krachende Donner ließ den Boden erzittern, als solle der ganze Berg bersten, und in den Nachhall hinein war schon alles wieder grell beleuchtet; denn nun schossen die Blitze von allen Seiten aus den Wolken, und der unaufhörliche Donner schmetterte Steinauge auf den steinigen Boden zwischen die knorrigen Wurzeln der Latschen. Während er sich zitternd in die Erde krallte und sein Gesicht in die kratzenden dürren Nadeln preßte, spürte er, wie das Wiesel zu seinem Ohr kroch, und dann wisperte es zwischen zwei Donnerschlägen: »Wenn du mir einen Rat gestattest, dann würde ich dir empfehlen, dort drüben neben der hohen Zirbe unter dem Felsüberhang unterzukriechen.«
    Steinauge hob den Kopf und sah etwa zwanzig Schritte weiter am Fuße einer Felswand eine Art Höhle, deren Tiefe sich im Dunkel verlor. Nun fielen auch schon einzelne schwere Tropfen. Der Entschluß, mitten in diesem tobenden Wetter aufzustehen und zu dem Unterschlupf hinüberzulaufen, kostete ihn einige Kraft, aber er schaffte es, schlug sich in wilden Sätzen durch das federnde und kratzende Gebüsch und stürzte vor Angst gehetzt die letzten paar Schritte über kahles Gelände zum Eingang der Höhle. Erst als er das schützende Dach über sich wußte, kam er wieder zu Atem und lehnte sich keuchend an die kalte, felsige Wand. Das Wiesel war schneller gewesen als er. Jetzt saß es neben ihm und putzte sein Fell.
    Draußen wütete das Gewitter weiter. Blitz folgte auf Blitz, und das Poltern des Donners verstärkte sich unter dem Felsdach zu hohlem Dröhnen. Dann schien die ganze Welt mit ohrenzerreißendem Krachen zu bersten, die hohe Zirbe unmittelbar vor der Höhle war für einen Augenblick umsäumt von blendendem Licht, und dann stand sie auch schon in Flammen. Das Feuer fraß sich

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