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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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dem, was du für die Wirklichkeit deines Lebens hältst.«
    »Warum sollte ich das nicht sein?« fragte das Wiesel und fügte nach einer Pause hinzu: »Warum bist du es nicht?«
    »Ich sehe keinerlei Gründe dafür«, sagte Steinauge.
    Das Wiesel schüttelte den Kopf. »Es liegt mir ferne, dich zu tadeln«, sagte es, »aber ich habe schon gemerkt, daß du nie zufrieden bist mit dem, was du bist und hast. Doch das ist vermutlich Menschenart, und deshalb geht es über meinen Verstand.«
    Trotz der höflichen Form, in die das Wiesel seine Worte gekleidet hatte, spürte Steinauge die unüberbrückbare Fremdheit, die ihn plötzlich von diesem zierlichen Raubtier trennte. War auch die Freundschaft zwischen ihm und Nadelzahn ein sinnloses Spiel seiner Träume gewesen? Er hätte jetzt kaum noch sagen können, was ihn mit diesem Gefährten verbunden hatte, ja er spürte sogar, wie etwas wie Ärger in ihm aufstieg über dieses selbstzufriedene Wiesel, für das die Welt in jeder Beziehung in Ordnung zu sein schien und das hier vor ihm hockte wie ein lebendiger Vorwurf. Das war mehr, als er im Augenblick ertragen konnte. »Ich nehme dir deine Worte nicht übel«, sagte er. »Wahrscheinlich hast du sogar recht mit dem, was du über die Eigenart von Menschen sagst. Ich danke dir auch für deine gute Meinung und dafür, daß du bisher mit mir durch die Wälder gelaufen bist. Doch jetzt bitte ich dich, mich allein meiner Wege gehen zu lassen.«
    Noch während er redete, wußte er auch schon, wohin er gehen wollte. Er sah die friedlichen grünen Wiesen des Flachtales vor sich, in dem er zweimal dem Mädchen begegnet war. Vielleicht würde es ihm dort gelingen, das Bild der Erschlagenen loszuwerden, die vor seinen Augen unaufhaltsam ins Bodenlose gestürzt war. Und er wollte dort allein sein.
    »Wovon willst du leben, wenn ich nicht für dich jage?« fragte das Wiesel besorgt.
    »Vorderhand werde ich nichts brauchen«, sagte Steinauge und machte sich zum Gehen bereit. Der Gedanke an Essen erfüllte ihn mit Ekel.
    »Warte nur«, sagte das Wiesel, »irgendwann wirst du schon wieder hungrig werden.«
    »Kannst du denn an gar nichts anderes denken?« sagte Steinauge erbittert. Er hatte es jetzt geradezu eilig, von diesem Beutejäger wegzukommen, winkte Nadelzahn noch einmal zu und ging mit raschen Schritten bergauf seinem Ziel zu. Als er den Schauerwald erreichte, stieg schon die Nacht aus den Tälern herauf. Zuletzt mußte er sich seinen Weg mit den Händen ertasten, spürte unter den Fingern die rauhen, strähnigen Bärte der krummen Wetterfichten und verfing sich mit seinen klobigen Hufen in den zähen Wurzelschlingen, aber er rastete nicht, bis er die Baumgrenze erreicht hatte und unter den Sternen den gerundeten Umriß der Bergkuppe vor sich sah, die sich dunkel gegen den bedeckten Nachthimmel abzeichnete.
    Auch hier wollte er nicht lange bleiben, sondern nur eine Weile nach der Mühe des steilen Aufstiegs ausruhen. Während er sich nach einem geeigneten Platz umschaute, schien es ihm, als habe er ein Stück weiter rechts zwischen den Stämmen eine Bewegung gesehen, so als gleite dort ein großes Tier geräuschlos heran. Ohne daß er hätte genauer erkennen können, was dort umging, packte ihn eisiges Entsetzen. Er versuchte sich hinter einem der flechtenbehangenen Bäume zu verbergen, und dann sah er auch schon, wie dieses schattenhafte Tier am Waldrand entlang über die Bergwiese näher trabte, ein riesiger, fast zum Skelett abgemagerter Wolf, der nun deutlich zu erkennen war. Ehe er noch vorübergelaufen war, blieb er jäh stehen und blickte mit seinen gelblich glühenden Augen herüber. Dann ließ er ein tiefes, bösartiges Knurren hören und sprang auf ihn zu.
    Steinauge rannte blindlings davon, immer am Waldrand entlang, wo keine Gefahr bestand, daß er über Wurzeln und Baumstümpfe stolperte. Er hörte den keuchenden Atem des Untiers immer näherkommen, und dann tauchte vor ihm plötzlich ein breit gelagerter Schatten aus dem Dunkel. Er versuchte das Hindernis zu überspringen, blieb aber mit dem Huf an irgend etwas hängen und stürzte der Länge nach ins Gras. »Halte dich an dem Baum, den du mir gesetzt hast, fest«, raunte eine Stimme, und ehe er noch recht den vollen Sinn dieser Worte begriffen hatte, packte er den armstarken, glatten Stamm einer jungen Eberesche, der unmittelbar vor ihm stand. Dann hörte er hinter sich den Wolf wütend aufheulen und meinte schon, seinen stinkenden Atem im Nacken zu spüren.
    Nach

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