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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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den Hals, daß die Spitze hinten in seinem speckigen Nacken heraustrat; er sah eine Frau, der ihr Kind, das sie in dem Gedränge hochgenommen hatte, mit einem Pfeil an die Brust genagelt wurde. Dann waren die Reiter heran, rissen ihre Krummschwerter aus der Scheide, und hieben auf jeden ein, der ihnen in den Weg kam, und wo ihr Schwert niedergefahren war, öffneten sich klaffend breite rote Lippen zum tonlosen Schrei. Und jeder dieser Reiter raffte alles an sich, was ihm irgend von Wert schien, riß hier einem Getroffenen noch im Stürzen eine goldene Gewandfibel von der Schulter und fetzte dort einer Frau das kostbare Gehänge aus dem Ohr.
    Steinauge wurde unversehens bewußt, daß er selbst ein solches Krummschwert in der Rechten hielt. Mit Gewalt bahnte er sich jetzt einen Weg durch das Gewühl hinüber zu Promezzos Haus, teilte nach allen Seiten gewaltige Hiebe aus und sah die Erschlagenen geräuschlos niedersinken. Als er die Eingangsstufen hinaufsprang, tat sich die Tür auf, und das Mädchen trat heraus. Es hielt seine Flöte in den Händen und setzte sie an die Lippen, als wollte es sich die Macht anmaßen, die nur dem wahren Besitzer der Flöte zukam.
    »Halt! schrie Steinauge. »Das ist meine Flöte, und nur ich werde sie spielen!«, und weil er wußte, daß er schon im nächsten Augenblick wehrlos der Gewalt preisgegeben sein konnte, die das Mädchen auszuüben sich anschickte, hob er sein Krummschwert und ließ es auf den Kopf des Mädchens niedersausen. Als er das getan hatte, merkte er, daß der Platz, auf dem eben noch die Reiter auf die dichtgedrängte Menge eingehauen hatten, wie leergefegt war. Nur er selbst stand noch auf der steinernen Treppe, und vor ihm lag das Mädchen, dessen Gesicht von einer klaffenden Wunde in zwei Hälften geteilt war, und obwohl dies unglaublich schien, sagte das Mädchen mit seinem zerspaltenen Mund: »Weißt du nun, wie du deine Flöte zu spielen hast?« Dann fiel es hintenüber die Stufen hinab und starrte mit gebrochenen Augen ins Leere.
    Da nahm er der Toten die Flöte aus den Händen und setzte sie an die Lippen, aber es wollte ihm nicht ein einziger Ton einfallen, den er hätte spielen können. Während er noch auf die Flöte starrte, sah er, wie sich ein Schatten über das blinkende Metall schob, und auf der glatten Rundung erschien, fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, das Spiegelbild des Grauen. »Siehst du nun«, sagte der Graue, »was diese Dinge, an die du glauben wolltest, in Wirklichkeit wert sind? Weißt du jetzt endlich, wie sinnlos es war, deine Hoffnung auf jemanden wie dieses Mädchen zu setzen! Hast du womöglich gemeint, daß Liebe mehr bedeute als jener Trieb, der den Bock die Ziegen bespringen läßt? Was ist denn von all dem übrig geblieben? Ein bißchen Blut, ein bißchen verwesendes Fleisch, ein bißchen Hirn, das nichts weiter ist als ein Häufchen grauer Brei.«
    Er trat hinter Steinauges Rücken hervor und stieß das Mädchen mit dem Fuß vollends hinab, und es stürzte sich ständig überschlagend von Stufe zu Stufe immer weiter über eine endlose, bis in unsichtbare Tiefen reichende Treppe, wurde kleiner und kleiner, war nur noch als dunkler, lebloser Gegenstand auszumachen und löste sich im grauen Zwielicht bodenloser Abgründe auf. Steinauge stand schwindelnd allein auf der Spitze einer grauen, nach allen Seiten jäh abfallenden Pyramide, zur Bewegungslosigkeit gebannt von brüllender Angst, daß der saugende Abgrund auch ihn hinabreißen würde, sobald er auch nur einen Fuß rührte, und so blieb er stehen, bis er fühlte, wie ihm die Knie zu zittern begannen, und dann spürte er nichts mehr als den sausenden Sturz in die Unendlichkeit des Nichts und schrie ohne jede Hoffnung, daß ihn einer hören könne.
    Doch vorderhand war noch jemand da, der ihn hörte. Aufgeschreckt von dem Schrei, weckte ihn das Wiesel und fragte, ob er einen bösen Traum gehabt habe.
    »Ich weiß nicht, ob es ein Traum war«, sagte Steinauge. »Vielleicht war es ein Blick auf die andere Seite jenseits der Träume, die ich bisher für die Wirklichkeit gehalten habe.«
    »Was soll da so Schreckliches zu sehen sein, daß du so schreien mußt?« sagte das Wiesel. »Ich begreife das nicht. Meine Träume sind nur eine Fortsetzung dessen, was ich am Tag erlebe. Manchmal spüre ich noch beim Aufwachen, wie meine Beine angespannt sind zum Sprung auf eine Beute, die ich eben noch im Traum vor mir gesehen habe.«
    »Ja«, sagte Steinauge, »du bist auch zufrieden mit

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