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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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weiten niedergleitenden Falten ausgebreiteten Wälder hinweg das Tal überblicken konnte. Und da sah Steinauge, daß er auch hier zu spät gekommen war. Wo weiter talaufwärts die Ansiedlung der Bergdachse lag, standen zahlreiche schwarze Rauchsäulen, die in der fast windstillen Luft langsam bis zur Höhe der Berge aufstiegen und dann in streifigen Bändern nach Osten abgetrieben wurden. In der Gegend von Arziak brannte es lichterloh, und auch in den Seitentälern, in denen die Schmelzhütten lagen, waren vereinzelte Brandherde auszumachen. Steinauge konnte sich das Bild, das sich jetzt dort unten zwischen den Häusern bieten würde, nur allzu leicht ergänzen: Auf den Gassen und Plätzen, auf denen früher die Handwerker und Goldschmiede ihre Waren feilgeboten hatten, würden nun die Leichen zuhauf liegen, Männer, Frauen und Kinder, und darunter auch der Erzmeister Promezzo, dessen Frau Akka, die Urlas Augen hatte, und deren Tochter, dieses Mädchen, auf das er seine Hoffnung gesetzt hatte. Er stellte sich das alles vor, aber er wollte es nicht sehen; denn er hatte genug von all diesen Erschlagenen. Er wollte ihnen nicht ins Gesicht blicken müssen, diesen Leuten, die ihm einmal vertraut hatten und die nun durch seine Schuld zu Tode gekommen waren, vor allem nicht diesem Mädchen. Die Endgültigkeit ihres gebrochenen Blickes hätte er nicht ertragen können, und so blieb er an dieser Stelle sitzen, starrte hinunter ins Tal und malte sich gräßliche Bilder aus, von denen er doch nicht wissen konnte, ob sie der Wahrheit nahekamen oder nicht.
    »Gehen wir nicht weiter?« fragte das Wiesel.
    Steinauge schüttelte den Kopf und sagte nach einer Weile: »Das hat keinen Zweck mehr.«
    »Willst du dir dann nicht wenigstens die Taube braten?« fragte das Wiesel, aber Steinauge warf ihm wortlos den blutigen Vogel zu, legte sich zurück und starrte in den blaßblauen Frühlingshimmel, über den einzelne, schwarze Rauchfetzen langsam nach Osten trieben. So lag er auch noch, als die Nacht aufstieg und sich fortschreitend über die Wälder legte, bis nichts mehr zu sehen war als hie und da ein aufflackerndes Feuer im Tal und die Sterne am unerreichbar hoch ausgespannten Himmel. Steinauge lag wie an den Boden geschmiedet, preisgegeben den eisigen Blicken dieser unendlich fernen, unbeteiligten Zuschauer, die auf ihn herabstarrten wie Richter, deren Urteil längst gefällt ist, und es packte ihn eine namenlose Angst, daß er nur hier lag, um auf die Vollstreckung zu warten.
    »So weit hast du’s nun also gebracht«, sagte der Graue, »daß du hier liegst und um Gnade winselst.« Er lehnte an einem Fichtenstamm und blickte unbewegten Gesichts auf ihn herab. »Statt dich um deine eigenen Sachen zu kümmern, hast du deine Zeit mit Narzias Hunden verplempert und dann wegen dieses Mädchens, das dir ständig davongelaufen ist, auch noch um vager Zusagen willen den kostbaren Falkenschmuck dieser Wasserfrau hingeworfen. Für nichts und wieder nichts. Schau hinunter ins Tal! Dort kannst du sehen, wie man es auf dieser Welt zu etwas bringt. Was du haben willst, mußt du dir nehmen. Geschenkt wird dir nichts. Komm mit! Ich zeig’s dir!«
    Steinauge graute vor dem Weg ins Tal, aber er hatte nicht die Kraft, sich diesem Befehl zu widersetzen, und schon glitt er hinter der grauen Gestalt hinab durch den Wald und befand sich gleich darauf zwischen den Häusern von Arziak. Aus allen Türen stürzten Leute heraus und liefen auf dem Marktplatz zusammen, und wenn Steinauge auch an den aufgerissenen Mündern und verzerrten Mienen der Leute erkennen konnte, daß sie allesamt lauthals durcheinanderschrien, so war doch kein Laut zu vernehmen. Auf der anderen Seite des Platzes erkannte er das Haus des Erzmeisters, in dem auch das Mädchen wohnen mußte, dem er – er wußte nicht genau weshalb – auf den Fersen war. Er warf sich in die Menge und versuchte sie wie ein Schwimmer zu zerteilen, doch die Leute rannten in solch zielloser Hast durcheinander, daß es kaum möglich war, auch nur einen Schritt voranzukommen. Dann blickten plötzlich alle zu jener Seite, an der man vom Gebirge her in die Stadt einreitet, und brüllten vor Angst, soweit man das ihrem Mienenspiel entnehmen konnte, und da preschten auch schon die ersten Beutereiter auf den Platz und schossen, in den Steigbügeln stehend, ihre Pfeile wahllos in die wild durcheinanderwogende Menge. Er sah, wie einzelne Leute getroffen wurden; einem fetten Mann, der vor ihm stand, fuhr ein Pfeil in

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