Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
nennt, und ihren Wolfsjägern. Viele Leute sind der Meinung, daß diese Männer sich, sobald die Sonne untergegangen war, in jene Wölfe verwandelt hätten, die auch meine Schafe gerissen hatten, und daß diese Wölfe dann auch Fredebar, seine Freunde und alle andern im Schloß umgebracht hätten. Auch ich bin inzwischen der Meinung, daß es so gewesen sein muß.
    Am nächsten Morgen jedenfalls war Gisa Herrin auf Barleboog. Ihre Wolfspelze mit den gelben Augen kamen als ihre Aufseher bis in die entlegensten Dörfer und brachten alles unter ihre Gewalt. Bei Nacht wagte sich keiner mehr vor die Tür; denn bis zum Sonnenaufgang hörte man draußen die Wölfe heulen, ohne daß einer dieser unheimlichen Jäger etwas dagegen unternahm. Es ist wohl wirklich so, daß sie sich bei Nacht in Wölfe verwandeln und erst beim ersten Sonnenstrahl ihre menschliche Gestalt wiederbekommen.
    Seither lebten alle Menschen im Tal von Barleboog in Angst, und das nicht nur bei Nacht. Die wolfspelzigen Knechte Gisas holten nach Gutdünken junge Männer aus den Dörfern und zwangen sie zur Arbeit in den Edelsteinseifen und später auch in den Minen oben im Gebirge; denn Gisa war unersättlich in ihrer Gier nach Saphiren und anderen edlen Steinen. Auch in unserem Dorf waren schon ein paar Burschen abgeholt worden, und es kümmerte Gisas Knechte nicht, ob sie Familien zu ernähren oder Eltern zu unterstützen hatten. Schlimmer als das alles war jedoch die Angst, die alle ergriffen hatte. Bald wagte keiner mehr, einem anderen zu helfen, der auf solche Weise ins Unglück geraten war; denn dadurch konnte man ja die Aufmerksamkeit von Gisas Knechten auf sich ziehen und dann als nächster fortgeschleppt werden.
    Da ich keine Schafe mehr hatte, verdingte ich mich bei meinem Schwiegervater als Knecht, damit wir das Notwendigste zum Leben bekamen. Auf dessen Hof kam dann eines Tages einer der Gelbäugigen, sah mir eine Weile stumm bei der Arbeit zu, legte mir dann die Hand auf die Schulter und sagte: ›Komm! Gisa braucht starke Männer.‹ Ich sagte ihm, daß ich Frau und Kinder zu unterhalten hätte, aber er hörte überhaupt nicht hin, sondern trieb mich vor sich her aus dem Hof. Mein Schwiegervater und seine Leute standen hilflos dabei, und keiner von ihnen wagte auch nur eine Hand zu heben. An diesem Tage beschloß ich, künftig auch wie ein Wolf zu leben; denn dies schien mir die einzige Art, in dieser Welt durchzukommen.
    Der Gelbäugige war sich seiner Sache und unserer Angst so sicher, daß er nicht einmal nachgesehen hatte, was ich bei mir trug, und so hatte er nicht bemerkt, daß ich ein Messer in meiner Tasche hatte. Als wir dann dicht am Waldrand entlanggehen mußten, bückte ich mich, als müsse ich mir das Schuhband knüpfen, und wartete, bis der Gelbäugige neben mir war. Da sprang ich auf, stieß ihm das Messer in die Brust und schleppte den Toten ins Gebüsch. Dann rannte ich so schnell ich konnte zu meinem Haus, holte Eiren und das Kind und floh mit ihnen in die Wälder. Bei Tag liefen wir, so weit wir kommen konnten, und versteckten uns, sobald wir irgendein Geräusch hörten. Abends kletterten wir auf einen Baum und verbrachten dort die Nacht, während unten die Wölfe heulend durchs Unterholz trabten. Gelebt haben wir in diesen Wochen von Beeren, Pilzen, Bucheckern und Eicheln; denn zum Glück geschah dies alles im Herbst.
    Als wir dann schließlich aus dem Wald herausfanden, schleppten wir uns abgerissen und schmutzig, wie wir waren, in ein Dorf und wollten um ein Nachtlager und um etwas zu essen bitten, doch die Leute jagten uns von der Tür, schalten uns Diebe und Landstreicher und hetzten die Hunde auf uns. Seither habe ich mir selber genommen, was wir zum Leben brauchten. Aber das habe ich dir ja schon heute morgen gesagt.«
    »Ja«, sagte Rulosch. »Nur läßt es sich jetzt besser begreifen. Auf solche Weise hast du also Bargaschs Reusen ausgeraubt. Hast du ihm dabei geholfen, Eiren?«
    »Nein«, sagte Barnulfs Frau. »Aber ich habe zugesehen und ihn nicht daran gehindert, denn mein Kind war hungrig.«
    »Warum verschweigst du, was du zu mir gesagt hast, Eiren?« sagte Barnulf. »Was ich gesagt habe, ist hier wohl nicht weiter wichtig«, antwortete Eiren, doch Rulosch schien anderer Meinung zu sein. »Was in dieser Verhandlung von Bedeutung ist, habe ich zu entscheiden«, sagte er. »Was hat deine Frau zu dir gesagt, Barnulf?«
    »Sie hat mich getadelt, daß ich alle Reusen geleert habe, statt nur zwei oder drei Aale

Weitere Kostenlose Bücher