Stein und Flöte
herauszunehmen«, sagte Barnulf. »Eiren konnte sich nie recht an das Leben gewöhnen, das wir führen mußten, und hörte nie auf, es für ein Unrecht zu halten, daß ich den Bauern Hühner aus den Ställen stahl oder in ihre Vorratskammern einbrach.«
Der Sanfte Flöter war den Reden aufmerksam gefolgt, ohne sich einzumischen. Jetzt hob er den Kopf und sagte: »Darf ich Barnulf etwas fragen, Rulosch?«, und als dieser nickte, sagte er: »Hat es dich gestört, Barnulf, daß Eiren mit deinem Verhalten nicht einverstanden war?«
Barnulf bedachte sich eine Weile und sagte dann: »Das ist schwer zu beantworten. Du weißt, daß ich mich zu diesem wölfischen Leben entschlossen hatte, aber es hätte mich wohl eher gestört, wenn Eiren nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte. Gerade um der Vorwürfe willen, die sie mir machte, war sie mir nur noch lieber, vielleicht weil sie mir auf diese Weise einen Teil jenes Lebens bewahrte, das wir früher einmal miteinander geführt haben.«
»Das hast du gut beschrieben«, sagte der Sanfte Flöter.
Als er sah, daß der Flöter sich wieder zurücklehnte und keine weiteren Fragen zu haben schien, sagte Rulosch: »Die Sache mit dem Fischdiebstahl können wir jetzt zu Ende bringen: Wie hoch schlägst du deinen Schaden an, Bargasch?«
Der Angesprochene stand auf und sagte: »Dieser eine Aal ist nicht der Rede wert, und die anderen haben sich ja wiedergefunden. Ich verzichte auf eine Entschädigung.« Dann setzte er sich wieder.
»Damit soll diese Angelegenheit erledigt sein«, sagte Rulosch. »Jetzt bleibt aber noch Barnulfs Angriff mit dem Messer, und der läßt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Was hast du dir gedacht, Barnulf, als du auf Bargasch losgegangen bist?«
»Ich dachte«, sagte Barnulf, »wer mir meine Beute streitig machen will, der soll mir erst einmal zeigen, daß er stärker ist als ich.«
»Wie ein Wolf«, sagte Rulosch.
»Ja«, sagte Barnulf, »wie ein Wolf. Das hatte ich von Gisas Knechten gelernt.«
Jetzt gab der Sanfte Flöter durch eine Geste zu erkennen, daß er etwas fragen wollte, und Rulosch nickte zustimmend. Da wendete sich der Flöter an Barnulf und sagte: »Du hast uns vorhin erzählt, daß du diese Gelbäugigen von Anfang an nicht gemocht hast. Wie kommt es dann, daß du dir ihre wölfischen Gebräuche zu eigen gemacht hast?«
»Wenn es keinen mehr gibt, der einem sein Recht verschafft, muß man sich auf diese Weise helfen«, sagte Barnulf. »Das habe ich wenigstens damals gedacht. Aber wenn du glaubst, daß mir das Freude gemacht hat, dann irrst du dich. Ich habe mich seither selbst nicht mehr gemocht.«
»Das habe ich vermutet«, sagte der Sanfte Flöter. »Du hast gemeint, in einer Welt, die von Wölfen beherrscht wird, bleibt dir nichts anderes übrig, als selbst ein Wolf zu sein. Aber das war wider deine Natur, denn du bist ein Mensch, der Freude hat an der Liebe und nicht am Haß. Du hast also auch gespürt, daß diese Gelbäugigen dich zu einem gemacht haben, der du nicht sein willst. Hättest du dann nicht auch wissen müssen, daß dieses wölfische Verhalten jeden anderen, der unter dir zu leiden hat, vom Menschen zum Wolf machen könnte?«
»Du hast recht«, sagte Barnulf, »aber das hatte ich nicht bedacht. Ich habe es erst begriffen, als du draußen im Moor auf deiner Flöte gespielt hast. Man kann das Wölfische nicht aus dieser Welt vertreiben, indem man selber zum Wolf wird. Ich hatte vergessen, daß es unter den Menschen eine Kraft gibt, die stärker ist als dieses wölfische Fressen und Gefressenwerden.«
»Eine bemerkenswerte Erkenntnis«, sagte der Sanfte Flöter. »Ich habe jetzt keine Fragen mehr an dich.«
Da ergriff Rulosch wieder das Wort und sagte zu Barnulf: »Soll das heißen, daß du künftig bei solchen Anlässen dein Messer im Gürtel behalten willst?«
»Ja«, sagte Barnulf. »Dies scheint mir die einzige Art zu sein, wie man verhindern kann, daß sich diese wölfischen Gebräuche unter den Menschen weiter ausbreiten.«
»Gut«, sagte Rulosch. »Aber damit ist die Sache noch nicht aus der Welt geschafft. Jetzt will ich erst einmal sehen, welchen Schaden du mit deinem Messer angerichtet hast. Bargasch soll jetzt vortreten und die Wunde zeigen, die ihm Barnulf zugefügt hat.«
Der junge Fischer stand auf, öffnete sein Hemd und streifte es ab. Ein klaffender Schnitt zog sich über seine rechte Schulter. Die Wunde hatte zwar aufgehört zu bluten, sah aber schlimm genug aus. Rulosch betrachtete sie
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